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Was der Mensch vom Unkraut lernt

Stefano Mancuso zeigt Überlebenskünstler

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir schmücken Gärten mit Blumen, bewundern bizarre Bäume oder grüne Landschaften. Doch florale Pracht taugt zu weit mehr als nur zur Anbetung. Der italienische Pflanzenforscher Stefano Mancuso erklärt in seinem neuen Buch, wie Pflanzen Revolutionen anzetteln und dem Menschen Überlebensstrategien in einer sich stetig verändernden Umgebung präsentieren.

In der Tat kann der Mensch vom Unkraut lernen. Von der wilden Rauke - wir essen sie gern als Rucola -, wie sie durch ihr ausgeklügeltes Wurzelsystem noch auf der ausgedörrtesten Brache gedeihen kann. Von der Mimose, wie sie sich auf eine veränderte Umwelt durch das Aufrollen ihrer Blätter einstellt. Vom Wald-Ziest, wie er seine Blätter denen der Nachbarn angleicht. Von der Opuntie, besser bekannt als Feigenkaktus, wie man Wasser aus der Luft aufnimmt, wenn die Erde keines mehr hergibt. Oder vom Pinienzapfen, der sich bei Regen schließt und bei Trockenheit weit öffnet, wie Bewegung einzig durch die Reaktion auf Luftfeuchtigkeit entstehen kann.

Pflanzen sind Überlebenskünstler, davon hat der Autor die Leser schon in seinem ersten Buch »Die Intelligenz der Pflanzen« überzeugt. Sie verfügen über ein Gedächtnis. Wie es jedoch funktioniert, hat noch niemand herausgefunden. Doch wie anders als mit dem Rückgriff auf gespeicherte Informationen wären Versuche mit der Mimose zu erklären, die einen glauben machen, hier arbeite ein Gehirn? Die aus den Tropen stammende Pflanze hatte bereits den Naturforscher René Desfontaines (1750 - 1833) beeindruckt: Sie schloss bei einer Berührung ihre Blättchen, daher ihr Name Mimosa pudica, schamhafte Sinnpflanze. Allerdings schien sie aus Wiederholungen zu »lernen«. Als viele Mimosenpflänzchen in einer Kutsche auf einen holprigen Weg geschickt wurden, schlossen sie schon auf den ersten Metern ihre Blättchen, doch nach einer Weile geschah etwas Überraschendes: Sie öffneten sich wieder, obgleich die Fahrt nicht weniger ruckartig verlief. Der mit der Beobachtung beauftragte Student notierte verwundert, die Mimosen hätten sich wohl an das Rütteln in der Kutsche »gewöhnt«. In späteren Versuchen erkannten Wissenschaftler: Die Mimose unterscheidet zwischen bekannten ungefährlichen und neuen bedrohlichen Erschütterungen. Das allein ist schon sensationell genug, doch die Pflanze kann die Informationen auch vierzig Tage lang speichern.

Pflanzliche Fähigkeiten können Menschen inspirieren. So bauen Weltraumroboter auf der Fähigkeit der Pflanzen auf, ihre Wurzelspitzen durch Weiterleitung von Flüssigkeit mit hohem Druck in die Lage zu versetzen, sich in harte Gesteinsbrocken hineinzubohren. Sie erkunden die Beschaffenheit von Böden an Orten, die für den Menschen nicht ohne Weiteres erschließbar sind. Auf dem Mars etwa. Ein anderes faszinierendes Vorbild für den Menschen liefert die Kaktusfeige. Sie nimmt nachts Feuchtigkeit aus der Luft, die an ihren feinen, haarähnlichen Dornen hängen bleibt. Die Methode kopierten Architekten in Katar, wo sie das eindrucksvolle Wanka Water bauen. Das Gebäude orientiert sich mit seinen Belüftungsklappen und in der Form an der Opuntie und »erntet« durch Spezialnetze in der Nacht Wasser.

Manusco schreibt seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Glück sehr unterhaltsam auf. Irgendwann vergisst man, Fachbegriffe nachzuschlagen. Wer sie drauf hat, benötigt das nicht. Und wer nicht, versteht trotzdem.

Stefano Mancuso: Pflanzenrevolution. Wie die Pflanzen unsere Zukunft erfinden, Verlag Antje Kunstmann, 252 S., geb., 24 €.

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