Nicht mehr als eine Atempause

Mieter wehren sich gegen ihre Kündigung - Pankow will Hauseigentümer Zügel anlegen

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es sind mittlerweile schon einige Kündigungen, die ich für diese Wohnung bekommen habe. Alle haltlos. Das ist wie ein schlechter Witz.« Andreas Geil ist Mieter im Vorderhaus Schönhauser Allee 90 an der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Pankow, das über die Berolina Grundbesitz GmbH verwaltet wird. Miteigentümer ist unter anderem ein Immobilienunternehmer.

Seit drei Jahren wohnt Geil in der knapp 100 Quadratmeter großen Wohnung. »Hat alles der Vormieter illegal renoviert«, sagt er und lacht. Unterkriegen lassen will er sich nicht, doch etwas Verzweiflung schwingt mit. Auf dem Tisch eine Wohnungsanzeige. 1000 Euro Kaltmiete für 80 Quadratmeter in der Wisbyer Straße. Geil erklärt: »Ich will nicht wirklich weg, hier kenne ich die Leute. Aber ich schaue mich trotzdem um.«

»Der Besitzer will uns alle raus haben«, ist er überzeugt. »Es geht ihm ums Entmieten.« Seit gut zwei Jahren stehe ein Gerüst vor dem Haus, doch gearbeitet werde nicht, sagt Geil. Schlimmer noch: Statt Bauarbeitern würden immer wieder Touristen auf das Gerüst klettern, dort Bier trinken, ihren Müll hinterlassen und nachts an die Fenster klopfen. »Das ist vor allem für die Kinder, die hier wohnen, unzumutbar.« Seine Mängelliste ist noch länger: Immer wieder Stromausfall wegen eines maroden Sicherungskastens, verstopfte Abflussrohre samt Überflutung des Kellers, Müll und Ratten im Hof und marode Fensterrahmen.

Auch Geils Nachbar Tim Roelofs hat eigenen Angaben zufolge eine Kündigung bekommen. Er wohne mit seiner Frau und vier Kindern in dem Haus, sagt er. Roelofs trägt eine Tarnjacke und Basecap, früher hat er im einstigen Kunsthaus Tacheles gearbeitet. »Bei mir in der Wohnung funktionieren teilweise nur zwei Steckdosen, und ich habe Löcher in der Wand zur Nachbarwohnung. Da können meine Kinder den Kopf durchstecken.« Einen schlechten baulichen Zustand bestätigt auch ein Mängelprotokoll der Wohnungsaufsicht vom April dieses Jahres, das dem »nd« vorliegt. Demnach bestehe »Brandgefahr« durch die Elektroanlage im Haus und in der Wohnung.

Auf eine schriftliche Anfrage von »nd« nahm ein bevollmächtigter Anwalt im Namen der Hausverwaltung wie folgt zu den Vorwürfen Stellung: »Es finden konstant Fassaden-, Balkon-, Dacharbeiten statt, so dass das Baugerüst erforderlich ist. Die Arbeiten wurden jedoch unbegründet durch Mieter erheblich behindert und mehrmals unterbrochen, so dass sich die Fertigstellung der Arbeiten verzögert« habe. Auch reagiere man »zeitnah auf Mängelanzeigen mit der erforderlichen Sorgfalt«. Mängel bezüglich der Elektroninstallation bestünden nicht, »jedoch verhinderten einige Mieter wiederholt die Arbeiten«, heißt es weiter.

Die Kündigungen gegen diverse Mieter bestätigt die Berolina Grundbesitz GmbH hingegen. Das Unternehmen weist aber darauf hin: Die Klagen nähmen »einige Mieter zum Anlass, in militanter Weise mit öffentlichem Druck gegen die Eigentümer vorzugehen und unsere Mandantschaft entsprechend zu verleumden«. Im Übrigen bestehe »mit dem Großteil der Mieter in der Schönhauser Allee 90 aber ein normales und ungekündigtes Mietverhältnis«.

Der Bezirk habe bisher 16 mal eine Begehung des Hauses durchgeführt, erklärt Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) dem Stadtentwicklungsausschuss Pankow am vergangenen Dienstagabend. Den Vermieter habe der Bezirk immer wieder auf Mängel hingewiesen, zuletzt sogar einen Baustopp für Bauarbeiten in drei Wohneinheiten im Seitenflügel verhängt. Das Gerüst sei noch bis Ende Mai genehmigt, eine Verlängerung der Frist wolle man sehr genau prüfen, so Kuhn. Außerdem werde man eine Zwangsgeldfestsetzung prüfen.

Frederik Bordfeld (LINKE) bringt im Stadtentwicklungsausschuss auch noch eine treuhänderische Verwaltung des Hauses ins Spiel. »Das wäre das letzte Mittel«, erwidert Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn. Probleme bei der Stromversorgung habe der Bezirk allerdings nicht feststellen können.

»Die führen die Verwaltung doch an der Nase herum«, sagt Mieter Andreas Geil dazu. »Obwohl der Bezirk einen Baustopp ausgesprochen hat, wurde in den Wohnungen gestern und heute weiterhin gebaut«, da sei er sich sicher. Auch, dass die Stromverteilung gefahrlos sei, will Geil nicht gelten lassen. Ihm liegt ein gerichtlich angeordnetes Gutachten vom Dezember vergangenen Jahres vor, in dem der Gutachter zu dem Ergebnis kommt: »Deshalb ist es nicht zulässig ... , einen Zählschrank zu betreiben, der ... nicht den Anforderungen nach DIN VDE entspricht. Erschwerend kommt hinzu, dass der Schrank nach über 30 Jahren verschlissen ist.«

Der Ausschuss für Stadtentwicklung in der BVV kommt am Ende zu einer Empfehlung an das Bezirksamt: Es sind alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Missstände im Haus Schönhauser Allee 90 zu beseitigen. Andreas Geil ist mit diesem Ergebnis zunächst einmal zufrieden. »Jetzt müssen wir sehen, was weiter passiert«, sagt er.

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