nd-aktuell.de / 19.05.2018 / Kultur / Seite 15

»Auch in Zukunft als Seismograph«

Auf dem Frankfurter Festival »Cuba im Film« präsentiert sich das Filmland bunt und widerspenstig

Ute Evers

Eröffnet wird das in seiner Beständigkeit einzigartige Filmfestival in Frankfurt am Main mit »Sergio und Serguei« von Ernesto Daranas, zu dessen Präsentation der Schauspieler Héctor Noas erwartet wird. Noas, 1958 in Holguín geboren, spielt in diesem Film den Russen Serguei, den letzten sowjetischen Kosmonauten, der, wie vergessen, noch im All herumfliegt. Man schreibt das Jahr 1991, die UdSSR hat sich aufgelöst, Sergueis einziger Rettungsanker ist Sergio aus Havanna. Dessen Leidenschaft: das Funken. Der Regisseur hat mit seinem sich zwischen Komödie, Burleske und Science-Fiction bewegendem Werk bewusst keinen realistischen Film gemacht und mit der sogenannten Sonderperiode in den 1990er Jahren dennoch einen der schwierigsten Momente der jüngeren kubanischen Geschichte berührt, wie es im Filmkatalog heißt.

Zwei weitere Filme stehen im Kontext der Sonderperiode, als Kuba vor dem wirtschaftlichen Kollaps stand, eine Zeit, die aus dem kollektiven Gedächtnis der Kubaner nicht wegzudenken ist. Es sind der Spielfilm »Boleto al paraíso« (»Ticket ins Paradies«, 2010), von Gerardo Chijona, und der Dokumentarfilm »Cuba and the Cameraman« (2017), in dem der US-amerikanische Regisseur Jon Alpert nicht nur Fidel Castro verewigt hat. Er erzählt auch die bewegenden Lebensgeschichten von drei Familien, die er über Jahrzehnte hinweg in unregelmäßigen Abständen besuchte.

Gezeigt wird auch eine Auswahl von Kurzfilmen, die unter der Leitung von Werner Herzog von 55 internationalen jungen Filmemachern 2017 in Kuba produziert wurden. Organisiert von der spanischen Produktionsfirma Black Factory Cinema in Zusammenarbeit mit der kubanischen Filmschule EICTV stand die Filmwerkstatt unter dem Thema »A través de la ventana - Durch das Fenster«.

Mit einem Blick zurück hält das Festival erfreulicherweise immer auch die Nähe zu unvergesslichen Klassikern aufrecht. Mit den Spielfilmen »Portrait von Teresa« (1979) von Pastor Vegas, »Das letzte Abendmahl« (1976) und »Die Überlebenden« (1978), beide von Tomás Gutiérrez Alea, werden wahre Perlen aus dem Repertoire des kubanischen Films gezeigt, zumal in 35-mm-Kopien, die auch schon zu einer Rarität in den Kinosälen geworden sind. Mit »Hanoi«, »Dienstag, der 13.« und »79 Lenze« von Santiago Álvarez, dem Wegbereiter des Dokumentarfilms auf Kuba, findet die 68er-Thematik ihren Platz beim Festival. 1968 und 1969 gedreht, schuf Álvarez unter anderem mit diesen Kurzfilmen unentbehrliche Zeitzeugnisse über den Vietnamkrieg.

Neben Noa werden noch weitere Gäste erwartet. Gerardo Chijona, 1949 in Havanna geboren, wird auch seinen neuesten Spielfilm »Los buenos demonios« (»Die guten Geister«) vorstellen. Dieser, so Chijona selbst, dringt ein »in einen Mikrokosmos, in dem jeder Protagonist seinem ganz eigenen Moralkodex folgt« und wo der gesellschaftspolitische Hintergrund nur eine zweitrangige Rolle spiele. Eduardo Del Llano, das Enfant terrible unter den Filmemachern der Insel, wird ebenfalls kommen. Del Llano war schon einige Male in Frankfurt. Keineswegs übertrieben ist es, zu behaupten, dass ihn dort bereits eine Fangemeinde erwartet. Del Llano, 1962 in Moskau geboren, zeichnet sich in seinen Werken durch eine satirische Filmsprache und -ästhetik aus, insbesondere in seiner Kurzfilmreihe »Nicanor«. Daraus wird er seine neuesten Filme vorstellen.

Ein Höhepunkt wird auch die Preisverleihung des »Jungen Cubanischen Films« sein. So viel sei verraten: Die aus deutschen Filmstudenten bestehende Jury wird Rosa María Rodríguez für ihren Kurzfilm »La Costurera« (»Die Näherin«) den mit 500 Euro dotierten Preis persönlich verleihen.

Ob Klassiker oder neueste Produktionen - die 23. Auflage von »Cuba im Film« bestätigt einmal mehr, dass »der kubanische Film (...) auch in Zukunft als Seismograph« der Gesellschaft auftreten wird, wie es treffend im Festivalkatalog heißt.

Dennoch gibt es einen Wermutstropfen: »Durch die vielen Koproduktionen müssen die Filme öfter in den koproduzierenden Ländern (meist Europa) bestellt werden, zu ›europäischen‹ Preisen, was die Kosten für die Durchführung des Festivals erhöht«, kommentiert Klaus-Peter Roth, Leiter des Filmforum Höchst. Dies zu entschärfen, liegt in den Händen des Publikums.