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Pilotphase für AnKER-Zentren vor dem Aus

Mehrzahl der Bundesländer will bei umstrittenen Einrichtungen für Geflüchtete zunächst nicht mitmachen

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Die große Mehrzahl der Bundesländer will bei den von der Koalition vereinbarten sogenannten Ankerzentren für Asylbewerber zunächst nicht mitmachen. Die vom Bundesinnenministerium geplante Pilotphase an bis zu sechs Standorten ab August oder September steht damit vor dem Aus.

Ein klares Nein zu den geplanten zentralen Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (Abkürzung: Anker) kam aus Berlin, Hessen und Thüringen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur sowie Äußerungen der vergangenen Tage ergaben. Nicht an der von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigten Pilotphase beteiligen wollen sich zudem Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.

Alles andere als ein Anker
Mit den geplanten Masseneinrichtungen setzt sich eine integrationsfeindliche Politik durch

Berlins Integrationssenatorin Elke Breitenbach (LINKE) sagte der dpa: »Sie sind als viel zu große Einrichtungen konzipiert, in denen Menschen einkaserniert sind.« Ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte: »Im Zweifelsfall schaffen sie noch mehr
Probleme.« Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte gesagt: »Das, was in einem Ankerzentrum zu tun ist, geschieht modellhaft in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen schon lange.« Dabei bleibe es.

Thüringens Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) sagte: »Wir halten nichts davon, Menschen mit abgelehnten Asylbescheiden an einem Ort zu konzentrieren und damit die Probleme zu potenzieren.«

Schleswig-Holstein will die Erprobungsphase in anderen Ländern abwarten, die Ergebnisse auswerten und dann entscheiden, wie ein Sprecher des Innenressorts sagte. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hatte der »Zeit« gesagt, derartige Zentren könnten falsche Erwartungen wecken, wenn sie eine höhere Zahl an Abschiebungen suggerierten.

Mehreren Landesregierungen mahnten konkrete Pläne des Bundes an. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) sagte der dpa: »Der Bundesinnenminister gibt ein sehr schwaches Bild ab, denn er hat uns bisher null Informationen geliefert.« Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte gesagt: »Wir haben im Moment da keine Not, weil wir gut organisiert sind, deshalb können wir jetzt einfach mal betrachten, was an den Modellstandorten passiert.«

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte der dpa: »Wir wissen immer noch nicht, wie denn Herr Seehofer als Bundesinnenminister beabsichtigt, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ankerzentren wirklich auszugestalten.« Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sagte der dpa, man erwarte ein konkretes Konzept über die Vorstellungen des Bundes. Brandenburgs SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter forderte den Bund auf, »seinen Ankündigungen im Koalitionsvertrag nun Taten folgen zu lassen«.

Seehofer hatte im Bundestag solcher Kritik entgegengehalten, jede Einzelheit sei im Koalitionsvertrag festgelegt. Er warb für die Zentren, »um dort gebündelt die Verfahren schnell und sicher durchzuführen«. Pro Asyl warnte: »Die Isolation in solchen Zentren
behindert die Integration derjenigen, die in Deutschland bleiben werden.« Gegen Großunterkünfte entstünden zudem oft Hasskampagnen.

Streit über die Bewertung von Ankerzentren und die Teilnahme an der Pilotphase gibt es mittlerweile in der schwarz-roten Koalition von Sachsen. Das Land hatte zunächst Interesse angemeldet.

Seehofer, der zugleich CSU-Vorsitzender ist, hatte am 3. Mai angekündigt, ab August oder September mit einer Pilotphase für die Zentren starten zu wollen. Laut Innenstaatssekretär Helmut Teichmann sollen fünf bis sechs Zentren über sechs Monate bundesweit erprobt
werden. Ziel ist es, nur Asylbewerber mit positiver Bleibeprognose auf Kommunen zu verteilen und alle anderen möglichst direkt aus den Großunterkünften abzuschieben. Mehr als drei Viertel der Deutschen sind für diese Zentren, wie eine Umfrage des Instituts Civey für die »Welt« ergeben hatte. Im Oktober wird in Bayern gewählt.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte in der »Welt« auf das Ankunftszentrum in Heidelberg verwiesen: »Wir müssen in Baden-Württemberg nichts erproben, weil wir hier exzellent aufgestellt sind.« Auch Mecklenburg-Vorpommern verwies auf bestehende zentrale Einrichtungen. Nordrhein-Westfalens Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) sagte am Freitag in Düsseldorf, wenn der Bund eine moderne Einrichtung bezahle, sei er dafür offen. »Aber wenn die Voraussetzungen nicht stimmen, nehme ich das nicht.«

Positiv äußerte sich der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Die zentrale Landesaufnahmestelle könne zum Vorbild für die geplanten Asyl- und Abschiebezentren werden, sagte er der dpa. Im CSU-geführten Bayern ist die Umwandlung eines Transitzentrums zu einem Ankerzentrum in Vorbereitung. Vor diesem Hintergrund hatten am Dienstag Journalisten erstmals seit Langem Zutritt zum Transitzentrum
Manching.

In Bayern wird als Alternative zu den Zentren bereits die Abweisung von Migranten an der Grenze erwogen. »Wenn sich einige Bundesländer der Einführung von Ankerzentren verweigern, habe ich dafür kein Verständnis«, hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dazu gesagt. dpa/nd

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