Gefochten, geflirtet, gezaubert, gerappt, gesteppt

»Wenn Ja wie viele« fragten spitzfindig Musicalstudenten der UdK

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Szene im UNI.T war mittig gezackt, den Boden bedeckte ein roter Stern, als sei man auf dem Walk of Fame. Noch haben die Studenten des 2. Ausbildungsjahres im Fach Musical dafür alle Chancen. Zuvor jedoch zeigten sie in der Mitte ihres Studiums erst einmal, was sie bisher gelernt haben - und das kann sich allemal sehen lassen. »Wenn Ja wie viele« heißt eine Collage, die als seine letzte Großtat vor der Emeritierung Rhys Martin mit ihnen gemeinsam erarbeitet hat.

So konfus und doppelbödig wie der Titel war dann auch, was zwei Stunden ohne eigentliche Handlung über die bis zur Brandmauer offene Bühne ging und von den neun begeisterten Akteuren ausgefüllt werden musste. Kein Nummernprogramm mit bekannten Musicalhits, vielmehr eine Melange aus Textsplittern, Songs und Selbsterkenntnis. Einer spielte zeitweilig Regisseur und versuchte Ordnung ins Chaos zu bringen, denn jeder hatte Erwartungen an das, was er spielen wollte. Und der Zuschauer hat sie stets auch, wie ein Kurzmonolog aus Peter Handkes »Publikumsbeschimpfung« gleich eingangs weiß. Wie aber geht da Show?

Indem man mit mehr oder weniger passenden Zitaten von Woody Allen und Sibylle Berg über Kleist und Loher bis Shakespeare und Schiller verbindet, wozu man geladen war: Songs aus teils nicht so geläufigen Werken der Unterhaltungsindustrie. Hierbei waren die Akteure multifunktional gefordert: als Interpreten einer Rolle, als Teil des probenden Ensembles und als sie selbst in ihren Fragen an sich zur Wahrheit des Mitgeteilten, zur Authentizität von Kunst und auch an die eigene Geschichte.

Anspruchsvoll, dieser permanente Wechsel von Spielebene zu Spielebene, bisweilen zeitbezogen und witzig, oft berührend. Martins Inszenierung bestach durch Tempo und rasche Übergänge, Verwandlungen auf offener Szene, hauptsächlich aber durch die ungebremste Spielfreude der Studenten. Ob es um, ja, was schon?, Liebe ging oder um jenen Schatten, von dem Mozart sich bedrängt fühlte; um Adolpho im Zweifel an seiner Männlichkeit; den drallen Hamburger Jung; den Wedding als Broadway in Berlin oder die burlesque Attitüde. Gefochten wurde zwischendurch, asiatisch respektive mit Stöcken vehement gekämpft, geflirtet, gezaubert, gerappt und gesteppt. Auf so viele Komödianten darf der Studiengang stolz sein.

Karim Plett etwa, umwerfend beim Zubereiten von Frikadellos, bravourös mit großer Stimme dann in »So leb dein Leben«, der deutschen Version eines Sinatra-Erfolgs. Oder Denis Riffel, der stücklang den Rollstuhlfahrer gab und mit sehr viel Wärme und Emotion Mozarts »Schatten« gestaltete. Oder Johannes Krimmel, der als Männlichkeitsgeste zum Beinahe-Strip griff. Oder der Kameruner Ngako Keuni mit seinem imposant bis in Falsett-Höhen getriebenen »Adios«. Als vielseitig toughe Ladies behaupteten sich schießend, tanzend und bei Bedarf sexy Florentine Beyer und Nicola Kripylo gegen so viel männliche Übermacht, zu der nicht minder stark Tristan Giovanoli, Timo Stacey und Florian Heinke gehörten.

Dem fußwippenden Bongo-Finale hoch auf der Showtreppe folgte nach all der bohrenden Sinnsuche die Entspannung in Form eines Nonetts: »Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn« als Reminiszenz an einen Filmschlager von 1936 führte zurück ins wirkliche Leben, in dem man sich gottlob nicht ständig mit Selbstzweifeln plagt oder plagen muss und manchmal auch nur ist, wie man ist. Den profunden Akteuren und ihrem einfühlsamen Pianisten Hans-Jörn Brandenburg dürfte das auch nach den fünf bestens besuchten Vorstellungen nicht anders gehen.

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