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  • Wohnungsleerstand in Berlin

Nichts genaues weiß man nicht

Der Wohnungsleerstand in der Hauptstadt wird nicht genau erfasst

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Plakative Besetzungen sind notwendig, um aufzuzeigen, dass für bezahlbaren Wohnraum etwas getan werden muss«, findet Knut Mildner-Spindler (LINKE), Bezirksstadtrat für Bürgerdienste in Friedrichshain-Kreuzberg und damit auch zuständig für das Wohnungsamt. »Allerdings kennen wir die Häuser schon sehr gut«, sagt er über jene Gebäude, die am Wochenende beim »Frühling der Besetzungen« - meist zum Schein - besetzt wurden.

Leerstand gilt als Zweckentfremdung von Wohnraum und kann daher von Amts wegen geahndet werden. Allerdings sind die Waffen trotz allen Engagements vergleichsweise stumpf. »Da werden uns dann von den Eigentümern Mietverträge vorgelegt, die wir sehr kritisch betrachten müssen«, berichtet Mildner-Spindler. »Ob der Beweis gelingt, dass Verträge nur vorgetäuscht sind, muss sich zeigen.«

»In der Petersburger Straße 16 in Friedrichshain haben wir uns über Jahre mit dem Leerstand auseinandergesetzt«, so der Stadtrat. Als die vorhandene Baugenehmigung kurz vor dem Auslaufen stand, sah das Wohnungsamt die Möglichkeit, bald einzuschreiten. Die Baugenehmigung wurde dann allerdings verlängert. Inzwischen habe der Bau begonnen, nur beim Vorderhaus nicht. »Da werden sicher nicht die Wohnungen entstehen, die wir uns wünschen, aber es läuft derzeit im gesetzlichen Rahmen«, erklärt Mildner-Spindler. Vergleichbar sei die Lage beim Haus Frankfurter Allee 84, Ecke Finowstraße. Nach jahrelangem Leerstand hätten Arbeiten begonnen. »Derzeit hat das Gebäude aber nicht mal ein Dach.«

Doch wie viele Wohnungen in der Hauptstadt stehen eigentlich leer? »Wir kennen nur die leerstehenden Häuser und Wohnungen, die wir selber und aufgrund von Hinweisen ausfindig gemacht haben«, sagt Mildner-Spindler. Bis 2010 führte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Statistik auf Basis von Stromzählerdaten. Wenn es keinen Stromliefervertrag gab oder der Stromverbrauch minimal war, galt die Wohnung als leerstehend. Die Statistik wurde eingestellt, nach damaliger Auskunft wegen einer EDV-Umstellung von Vattenfall.

Laut Wohnmarktbericht 2018 von Berlin Hyp und CBRE stehen 1,2 Prozent aller Wohnungen leer. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) meldete für 2016 für die 70 0000 Wohnungen seiner Mitglieder - etwas über 40 Prozent aller Mietwohnungen - einen Leerstand von 1,6 Prozent. 2015 zählte der Senat 49 sogenannte Schrotthäuser, also komplett unvermietete Gebäude, um die sich der Eigentümer nicht kümmert.

Einen wirklichen Überblick kann auch das Internetprojekt »Leerstandsmelder.de« nicht liefern, obwohl es für Berlin über 999 leerstehende Wohnungen und Gebäude verzeichnet. »Als wir vor sechs Jahren mit dem Projekt für Berlin starteten, ging es uns vor allem darum, die Diskussion über den Leerstand zu eröffnen«, sagt Nils Grube. Der Geograph ist Mitarbeiter des Instituts für Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin. »Wir fingen mit prominenten Orten, wie dem Haus der Statistik, der Eisfabrik an der Köpenicker Straße oder dem Teufelsberg an«, berichtet er. »Wir wollten Wissen bündeln, das so geballt nicht der Allgemeinheit zur Verfügung stand.« Als »niedrigschwelliges Angebot zur Beteiligung« habe das durchaus funktioniert.

»Die Einrichtung eines Leerstandskatasters hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen abgelehnt«, sagt Katalin Gennburg, Stadtentwicklungsexpertin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Nach ihrer Ansicht müsse man den Leerstand viel weiter fassen. »Wenn man die ganzen untergenutzten Wohnungen mitzählt, kommt man sicher auf eine sechsstellige Zahl«, so Gennburg.

Neben Ferienwohnungen seien das die zahlreichen Zweit- oder Drittwohnungen, die vielleicht nur ein paar Wochen oder gar Tage im Jahr genutzt werden. »Viele Menschen leben auch in zu großen Wohnungen, weil ein Umzug wegen der Neumieten für sie nicht in Frage kommt«, erklärt die Politikerin. Und natürlich biete auch die Instandbesetzung von Häusern Potenzial für leistbaren Wohnraum, selbst wenn nur eine vierstellige Zahl an Wohnungen herausspränge.

»Es sind weniger Häuser, sondern vor allem größere Bauflächen, die aus spekulativen Gründen leerstehen«, sagt Knut Mildner-Spindler. Beispiele wie die Brache der ehemaligen Pintsch AG am Ostbahnhof oder die ehemalige Brauerei Friedrichshöhe an der Richard-Sorge-Straße seien »große Ärgernisse«.

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