SPD erlebt ein Déjà-vu

Die Brückenteilzeit war fest vereinbart, doch nun versucht die Union nachzukarten

Vor einer Woche beim DGB-Bundeskongress, da saßen Andrea Nahles und Annegret Kramp-Karrenbauer auf einem Podium nebeneinander und diskutierten über die Arbeitswelt der Zukunft. Während es sonst recht freundlich zuging, blieb es zwischen den beiden Spitzenfrauen der Regierungsparteien frostig. Spätestens als Kramp-Karrenbauer, ihres Zeichens Generalsekretärin der CDU, ausführte, beim Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit seien noch einige Punkte zu klären, denn der vorgelegte Gesetzentwurf gehe über die Koalitionsvereinbarung hinaus, froren Nahles' Blick und Stimme ein, als sie - ohne ihre Nachbarin eines Blickes zu würdigen - schmallippig beschied: Es gebe jetzt nichts mehr zu reden, sondern nur noch umzusetzen.

Die Sozialdemokraten erleben derzeit mit ihrem Gesetz zur befristeten Teilzeit ein Déjà-vu. Nahles, inzwischen Partei- und Fraktionschefin der SPD, hatte es am Ende der letzten Legislatur als Arbeitsministerin auf den Weg gebracht, scheiterte jedoch am Widerstand der Union. Die Parteien konnten sich nicht einigen, in welchen Betriebsgrößen das neue Recht gelten sollte. Das hatte der damalige Koalitionsvertrag offengelassen. Als Lehre aus dieser Geschichte wurde die »Brückenteilzeit«, wie das Wahlversprechen der SPD auch genannt wird, dieses Mal schon im Koalitionsvertrag ausbuchstabiert. Das Thema sollte gleich zu Anfang abgeräumt werden. Im Grunde hätten copy and paste gereicht.

Doch nun strapaziert die Union erneut die Nerven ihres Koalitionspartners. Seit Mitte April hängt der Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil in der Ressortabstimmung. Die für diese Woche geplante Verabschiedung im Kabinett wurde verschoben. Auf wann, ist offen. »Die Verhandlungen zur Brückenteilzeit befinden sich auf der Zielgeraden«, heißt es aus dem Arbeitsministerium. Der Minister gibt sich optimistisch, noch vor der Sommerpause zu einem Beschluss im Kabinett zu kommen.

Nach seinem Entwurf sollen ab 1. Januar 2019 alle Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern ohne Angabe von besonderen Gründen für ein Jahr bis fünf Jahre kürzer arbeiten können und dann in ihre frühere Vollzeitbeschäftigung zurückkehren dürfen. Das soll insbesondere Frauen helfen, die es ja bislang vor allem sind, die in Teilzeit arbeiten, umgekehrt aber auch Männern einen Anreiz bieten, sich eine Zeit lang um anderes als ihren Brotjob zu kümmern.

Für mittelgroße Betriebe mit 46 bis 200 Mitarbeitern wird eine »Zumutbarkeitsgrenze« eingeführt. Dort soll lediglich einer von jeweils 15 Anspruch haben. In einem Unternehmen mit 60 Mitarbeitern könnte der Chef also neue Anträge ablehnen, wenn schon mindestens vier Mitarbeiter in Brückenteilzeit sind.

Der Minister will es aber auch allen Menschen, die bereits in (unbegrenzter) Teilzeit arbeiten, erleichtern, ihre Arbeitszeit auszuweiten. Bislang sind sie zwar bei der Besetzung freier Arbeitsplätze bevorzugt zu behandeln, es ist aber an ihnen, nachzuweisen, dass ein passender Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Das ist in der Praxis kompliziert. Künftig soll diese »Beweislast« deshalb nicht mehr bei ihnen, sondern beim Arbeitgeber liegen. Will er einen Antrag ablehnen, muss er darlegen, dass wirklich nicht mehr Arbeit vorhanden ist. Mit diesem Vorschlag setze der Minister den Koalitionsvertrag um, unterstreicht das Arbeitsministerium.

In der Tat ist die von der Union strittig gestellte Frage, wer sich hier an Absprachen hält, leicht zu entscheiden. Es ist Hubertus Heil. Der Koalitionsvertrag sagt unmissverständlich, Grundlage soll der alte Referentenentwurf von Andrea Nahles sein und listet dann diverse Änderungen en détail auf. Dazu zählt die Beschränkung auf Betriebe mit mehr als 45 Mitarbeitern. Nahles wollte die Grenze seinerzeit bei 15 ansetzen, was den Kreis der Anspruchsberechtigten erheblich vergrößert hätte. Auch anderen Wünschen von Arbeitgeberseite wurde nun Rechnung getragen. Wenn CDU-Politiker nun im Bündnis mit Arbeitgeberverbänden gegen die Beweislastumkehr zu Felde ziehen, versuchen sie damit, den gefundenen Kompromiss aufzukündigen. Denn diese Änderung war explizit schon im Nahles-Entwurf angekündigt.

Ob es noch an anderen Stellen hakt, ist unklar. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall rüttelt jedenfalls auch an den Zumutbarkeitsgrenzen, wie aus einer Stellungnahme des Verbandes hervorgeht, aus der das »Handelsblatt« zitiert. Bei deren Festlegung müssten andere Teilzeitverhältnisse mitzählen, wie sie etwa im Zuge der Elternzeit möglich sind, heißt es darin.

Der Arbeitsminister wird sich etwas einfallen lassen müssen, will er dieses zentrale Wahlversprechen seiner Partei wirklich in den ersten 100 Regierungstagen einlösen. Bis zum 22. Juni bleibt noch ein knapper Monat. Die Sozialdemokraten dürften es der Union kaum durchgehen lassen, eines ihrer Herzensprojekte erneut zu hintertreiben. Man wird nur genau hinschauen müssen, ob sich in den Details plötzlich weitere Aufweichungen finden. Denn über irgendetwas wird ja im Moment doch noch geredet.

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