nd-aktuell.de / 24.05.2018 / Berlin / Seite 12

Nach Falkensee mit der Tram

Das Bündnis »Pro Straßenbahn« fordert ein 500-Kilometer-Netz bis 2050

Nicolas Šustr

Sie ist bei den Fahrgästen beliebt, elektromobil und nachhaltig: die Tram. »Pro Straßenbahn«, ein breites Bündnis von Verbänden und den drei Regierungsparteien SPD, LINKE und Grüne, will, dass bis zum Jahr 2050 das Tram-Netz von derzeit 194 auf fast 500 Kilometer anwächst. Alle Bezirke der Hauptstadt sollen in den nächsten 30 Jahren ans Netz angeschlossen werden. Durchschnittlich zehn Kilometer Strecke pro Jahr müssten dafür gebaut werden. Das entspräche jährlichen Investitionen zwischen 100 und 200 Millionen Euro.

Am dichtesten fiele das Netz in Spandau aus. Dort würden alle Metrobuslinien auf das leistungsstarke Verkehrsmittel umgestellt - mit Ausnahme der Verbindungen nach Kladow. Wer im stolzen Randbezirk mit dem Bus unterwegs ist, weiß warum: Obwohl auf manchen Strecken die Busse im Minutentakt verkehren, sind sie permanent überfüllt und stehen häufig im Autostau. Nur wer muss, fährt mit dem Bus. Mehr Kapazität und Komfort zu vertretbaren Kosten und vergleichsweise schnellen Bauzeiten kann nur die Tram bieten.

»Die Straßenbahn ermöglicht im Gegensatz zur U-Bahn eine Verkehrsplanung nach Kassenlage«, sagt Jens Wieseke, stellvertretender Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbands IGEB. Uwe Hiksch, stellvertretender Landesvorsitzender der Naturfreunde Berlin, erklärt: »Wer auf ein U-Bahn-Konzept in Berlin setzt, möchte den schnellen Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs verhindern.« Denn: »Für den Preis von einem Kilometer U-Bahn-Strecke können in Berlin bis zu 20 Kilometer Straßenbahn ausgebaut werden.«

Wieseke und Hiksch spielen auf die vom Senat beschlossene Prüfung neuer U-Bahn-Strecken an. Untersucht werden sollen demnach ein Abzweig von der U6 zur »Urban Tech Republic« auf dem dann neu genutzten Flughafen Tegel, eine Verlängerung der U7 nach Schönefeld sowie der U8 ins Märkische Viertel. »Wir stellen gar nicht in Abrede, dass eine U-Bahn ins Märkische Viertel einen Nutzen haben kann«, sagt Wieseke. »Aber was ist dann mit der Anbindung des Falkenhagener Feldes oder der Siedlungen am südlichen Stadtrand?«, fragt er. »Eine flächendeckende Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs mit der Straßenbahn ermöglicht bessere soziale Teilhabe«, ist er überzeugt.

Das geforderte Tram-Netz hingegen reicht in die genannten Viertel. Auch im Ostteil der Hauptstadt sieht das Bündnis noch Potenziale, die längste Neubaustrecke würde die Buslinie 265 von Schöneweide die B96a entlang über den Treptower Park bis nach Mitte ersetzen. Einige Linien könnten sogar ins Umland verlängert werden: zum Flughafen BER, nach Teltow und Falkensee.

»Wir haben nicht einfach nur Linien in den Stadtplan gemalt, wo wir es für sinnvoll hielten«, sagt Wieseke. Zunächst wurde das Fahrtenangebot auf dem bestehenden Busnetz analysiert und untersucht, ob sich dort sinnvoll Straßenbahnstrecken unterbringen ließen. Also stadtverträglich und auch möglichst auf eigenem Gleiskörper, um ein schnelles Vorankommen im Verkehr zu garantieren. Die BVG könnte zudem zusätzliche Fahrgäste anlocken: Auf der 2015 eröffneten Strecke zwischen Nord- und Hauptbahnhof sind täglich 40 000 Fahrgäste unterwegs - mehr als doppelt so viele wie erwartet und mindestens viermal so viele im Vergleich zur einst dort verkehrenden Buslinie.

Mit seiner Forderung geht das Bündnis Pro Straßenbahn deutlich über die Vorstellungen der Senatsplaner für den neuen Nahverkehrsplan hinaus. Im zeitlich bis nach 2035 reichenden Entwurf werden zwar auch Strecken nach Buckow, Lichtenrade, Spandau und ins Märkische Viertel vorgeschlagen, das Netz fiele jedoch vergleichsweise dünn aus. Das Bündnis fordert eine verbindliche Verankerung des Straßenbahn-Zielnetzes mit Bindungswirkung im neuen Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr, damit die Strecken nicht verbaut werden.

Die FDP ist schon mit den vergleichsweise bescheidenen Senatsplanungen unzufrieden. Eine »zunehmend stärker verdichtete Stadt kann in der Innenstadt den Verkehr nicht vorwiegend über Straßenbahnen abwickeln«, lässt der infrastrukturpolitische Sprecher Henner Schmidt wissen. »Auch in eher gering besiedelten Gebieten in den Außenbezirken liefern neue Straßenbahnstrecken keine attraktiven Lösungen«, ist er überzeugt. Das sollte Rot-Rot-Grün nicht davon abhalten, das von den Regierungsparteien befürwortete Konzept des Bündnisses umzusetzen. »Mit dem Ausbremsen der Straßenbahn und der Forcierung von U-Bahn-Plänen begeht die SPD Selbstmord aus Angst vor dem eigenen Tod«, sagt Fahrgastvertreter Wieseke.