Der Triggerstaat und die Privatisierung der Gesetzgebung

Die Datenschutz-Grundverordnung stellt nicht nur private Blogger mit Internetgiganten wie Facebook gleich, sie überlässt auch Gerichten die rechtliche Ausgestaltung

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Was waren das zuletzt für Wochen für all jene, die sich eine kleine oder große Internetexistenz aufgebaut haben. Man musste lesen, was die DSGVO vorsieht, holte sich Ratschläge ein, durchforstete hierzu Foren und Seiten von Fachanwälten und war häufig nicht sonderlich schlauer. Denn selbst Rechtsanwälte kratzen sich momentan noch am Hinterkopf und geben konsterniert zu, dass auch sie nicht so genau wissen, wie die Datenschutzgrundverordnung in der Praxis umgesetzt wird. Daher ist sicher sicher, man sollte bitte alle Eventualitäten bedenken und nach allen Regeln der Kunst rechtssicher machen. Lieber zu viele Datenschutzhinweise, Cookie-Warnungen und Zugriffsabfragen als zu wenige.

Die Datenschutzgrundverordner haben sich vor zwei Jahren auf ein relativ generalisierendes Datenschutzreglement verständigt, einen Katalog ziemlich undurchsichtiger, auch praxisferner Vorstellungen, die man besonders den Datenstaubsaugern, sozialen Netzwerken wie Facebook oder Allroundern wie Google an die Hand beziehungsweise auf die Pfoten geben wollte. Aber da man keine Lex Facebook verabschieden wollte, trifft es nun eben alle, die im Internet kommerziell unterwegs sind. Und kommerziell ist es schon, wenn jemand auf seinem ansonsten privaten Blog ein Werbebanner gegen Überweisung geschaltet hat. Ab da gilt die DSGVO, mit allem was dazugehört.

Im Laufe der Jahre werden Gerichte nun darüber befinden müssen, wie die Praxis auszusehen hat. Da geht viel Geld für Rechtsstreitigkeiten und Grundsatzentscheidungen drauf. Die Justizindustrie freut sich darüber. Wahrscheinlich wird es auch das Geld des digitalen Mittelstandes und der digitalen Niedriglöhner sein, mit der Rechtspraxis fixiert wird. Sie formen dann quasi mit ihren geringen Finanzmitteln eine Gesetzgebung, die der Gesetzgeber nicht ausreichend konkret und eindeutig ersonnen hat. Das ist so gesehen eine ganz spezielle Form von Privatisierung.

Dies heißt also im schlimmsten anzunehmenden Fall – und von dem geht man ja aus! -, man muss den User jedes noch so randständigen Weblogs bei jedem von ihm abgesonderten Kommentar nochmals extra darauf hinweisen, dass hier Datenvolumen übermittelt wird. Als ob er das nicht wüsste! Als ob Kommentatoren in Foren oder auf anderen Plattformen nicht wenigstens ahnten, dass ihr Auftritt im Netz nicht ohne Cookies, IP-Kennung und gespeicherten Mail-Adressen denkbar ist. Man muss den Blognutzer also behandeln wie einen digital immigrant, wie den größten anzunehmenden Laien, ja wie ein Kind – um nicht spitz zu sagen: Wie einen Trottel.

Gut, das ist gewissermaßen Zeitgeist. Von Kunden und Usern nimmt man ja an, dass sie nicht sonderlich schlau sind und Fürsorge benötigen. Daher bildet man geteerte Lungen oder leichenblasse Körper auf Zigarettenschachteln ab. Als ob Raucher nicht wüssten, dass sie sich schweren Schaden zufügen. Wer kann denn bitte heute noch leugnen, dass Rauchen gesundheitsgefährdend ist? Trotzdem landete der Schrecken auf der Packung, damit in unserem visuellen Zeitalter schnell erfasst werden kann, worum es geht. Triggern als fürsorglicher Hinweis.

Es ist interessant, dass die klassische staatliche Fürsorge allerorten auf dem Rückzug ist. Wer arbeitslos oder alt wird, darf sich nicht mehr auf die Fürsorgepflicht des Staates verlassen. Gleichzeitig lenkt der moderne Staat seine Fürsorglichkeit auf andere Themen, wendet dort eher defensive Maßnahmen an. Der moderne Staat ist kein Fürsorgestaat, er begreift sich mehr und mehr als Triggerstaat. Er erlässt keine Gesetze, die klare Verbote definieren, die Schädliches verteuern (Als ob das Wort »Steuer« nicht auch als Instrument zur Richtungsbestimmung verstanden werden kann.), er spricht sich für Verordnungen aus, die Warnmeldungen und Warnsymbole verlangen.

Insofern kann man sagen, dass der Fürsorgestaat, der sich einst als Garant physischer Unversehrtheit begriff, heute mehr und mehr eine psychologisierende Rahmengestaltung übergenommen hat. Er will antriggern – und das tut er im Laissez-faire, mittels chaotischer Vorgaben, die nach allen Seiten offen sind und die dann, wie bei der DSGVO, in panischen Plugins und Absicherungsängste münden. Dass das ein Unding ist, hat dann sogar die Bundeskanzlerin gemerkt. Gerade mal eine Woche vor dem Stichtag meldete sie Bedenken an. Auch das sagt viel über den Gestaltungswillen der Politik aus.
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