Ich will nur überleben

Manfred Krug als KZ-Kommandant: «Der Boxer und der Tod» ist erstmals ungeschnitten zu sehen

  • Jonas Engelmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ihr habt gefoult, und darum werdet ihr bestraft«, erklärt der SS-Kommandant Kraft einer Handvoll Insassen des ihm unterstellten Konzentrationslagers in der Slowakei, deren Fluchtversuch gescheitert ist. »Spielregeln« und »Fair Play« fordert der deutsche »Sportsmann« Kraft von seinen Gefangenen ein; die Strafe für ein Übertreten der Regeln, ein »Foul«, ist der Tod. Solche Sportmetaphern durchziehen den gesamten Film »Der Boxer und der Tod«, den Regisseur Peter Solan 1962 gegen Widerstände der staatlichen Kontrollbehörden der ČSSR realisieren konnte. Der soeben auf DVD erschienene Film zeigt den jungen Manfred Krug in der Rolle des Lagerkommandanten, der für das eigene Training und zur Unterhaltung befreundeter SS-Angehöriger den inhaftierten Amateurboxer Ján Komínek zum Sparringspartner macht. Während jüdische Häftlinge ermordet und slowakische Gefangene wie Komínek bei Arbeitseinsätzen ausgebeutet werden, muss der Boxer gegen den Lagerkommandanten Kraft in den Ring steigen.

Der Film zeigt, wie reibungslos sich das KZ unter deutscher Kontrolle in den unabhängigen Staat Slowakei einfügt. Anders als das von Nazideutschland annektierte Tschechien war die Slowakei bis zum Spätsommer 1944 offiziell kein besetztes Gebiet, sondern als »Schutzstaat« mit dem Deutschen Reich verbündet. Euphorisch begrüßte der spätere Chef des Amts für Propaganda, Tido J. Gašpar, seinen Bündnispartner und war überzeugt, die Slowakei könne nun nicht mehr »Beute jüdischer und anderer Plutokraten werden«. Bis 1945 wurden 70 Prozent der jüdischen Bevölkerung deportiert.

Kein Wunder also, dass der Film mehrere Jahre benötigte, um die erforderliche staatliche Drehgenehmigung zu erhalten, denn die Kollaboration der Slowakei mit Nazideutschland entsprach nicht dem Bild, das Kultur im Sinne des sozialistischen Realismus vermitteln sollte: siegreiche Soldaten der Roten Armee und heroische Partisanen.

Der 1929 geborene Regisseur Peter Solan hat den Film »Der Boxer und der Tod« an Originalschauplätzen auf dem Gelände eines ehemaligen jüdischen Arbeitslagers nahe der slowakischen Stadt Nováky gedreht. In seiner Adaption eines gleichnamigen Romans des polnischen Autors Józef Hen konzentriert sich Solan auf die Machtverhältnisse zwischen den Akteuren, die der Deutsche Kraft durch seine Sportfloskeln zu negieren versucht. Komínek ist dem Kommandanten ausgeliefert, er kann zwar im Ring zum ebenbürtigen Gegner werden, doch um sein Leben nicht zu gefährden, darf er Kraft nicht besiegen. Die herausgehobene Stellung des Boxers gefährdet allerdings auch sein Verhältnis zu den anderen Gefangenen. »Spitzel«, raunen ihm die Mitinsassen während des Arbeitseinsatzes zu, und die zusätzlichen Essensrationen machen ihn verdächtig.

Während für Kraft die Verwaltung des Lagers lediglich ein sportlicher Wettkampf zu sein scheint, ist für Komínek der Sport ein Kampf um Leben und Tod. In der Enge des Boxrings findet »Der Boxer und der Tod« ein Bild für die Zerrissenheit und die inneren Konflikte der Slowakei, während Komínek auf die Anfeindungen der Mitgefangenen verzweifelt entgegnet: »Ich will nur überleben. Wie ihr.«

»Der Boxer und der Tod«, ČSSR 1962/63. Regie: Peter Solan; Darsteller: Stefan Kvietik, Manfred Krug, Edwin Marian. 106 Min. Die DVD ist soeben erstmals ungeschnitten und mit Bonusmaterial bei Bildstörung erschienen.

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