Ein neuer Stern am Opernhimmel

Die Händelfestspiele in Halle sind mit »Berenice, regina d’Egitto« gestartet

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war die letzte der 42 Händelopern, die fehlte: »Berenice, regina d’Egitto« (1737). Jetzt halten sie in Halle den Aufführungsrekord und hatten obendrein Glück: In Jochen Biganzolis Inszenierung, mit Jörg Halubek am Pult des famosen Händelfestspielorchesters, erwies diese Oper sich als ein von der Nachwelt verschusseltes Schmuckstück mit Suchtgefahr! Dem Furor der Arien oder dem entsprechenden Innehalten kann man nicht ausweichen!

Dabei geht es selbst für barocke Libretto-Verhältnisse höchst verworren zu. Vor einem machtpolitischen Hintergrund (Rom hat Heiratsbefehle für die ägyptische Königin) geht es um Liebschaften in erwünschten oder nicht erwünschten Konstellationen. Beim entsprechenden Hin und Her kommt hier wenigstens niemand zu Schaden und das lieto fine verdient beziehungstechnisch seinen Namen.

Biganzoli, Wolf Gutjahr (Bühne), Katharina Weissenborn (Kostüme) und Konrad Kästner (Video) machen aus der Vorlage eine verblüffend gegenwartsnahe Bühnenshow, die ständig zwischen der perückenaffinen Entstehungszeit der Oper und unserer handyverrückten Gegenwart wechselt. Hinter dem Glitzervorhang rotiert ein Karussell mit acht spärlich möblierten Räumen. Von allen Wänden und oben drüber schwappt die Bilderflut aus dem Netz von heute auf uns ein. Wir erleben live mit, was die Akteure so alles chatten und posten. Es kommt einem irgendwie bekannt vor, wenn der römische Botschafter (Tenor Robert Sellier) über die Länge von ägyptischem Schwert und römischer Lanze twittert. Oder wenn man die gestammelten Ausreden des Liebhabers der Königin Demetrio mitliest, der von seiner eigentlichen Flamme, der Schwester der Königin Selene (Svitlana Slyvia), mit diversen WhatsApp-Herzchen befeuert wird, während er bei der anderen ist.

Die bewusst auf Überforderung setzende Bilderflut wird so bald zur Orientierungshilfe. Und wenn dann das gesamte Personal immer öfter zum Handy greift, um Selfies zu machen, fühlt sich das Publikum auf amüsante Weise ertappt. Außerdem nimmt Biganzoli das Ganze selbst auf die Schippe. Am Ende einer atemberaubenden Verzweiflungs-Bravourarie, für die sich der exzellente Counter Filippo Mineccia (Liebhaber zwischen den Schwestern) vorher schon das Hemd zerrissen hat, zieht er den Stecker und knipst die Bilderflut aus. Szenenapplaus!

Das Konzept geht auch deshalb überraschend gut auf, weil das Ensemble mit vollem Einsatz bei der Sache ist und vokal Händelstandard auf Festspielniveau bietet. Romelia Lichtenstein in der Titelpartie etwa begeistert nicht nur mit einer betörenden Arie, bei der sie vorm geöffneten Kühlschrank ihrem Heißhunger auf Eis exzessiv nachgibt, oder wenn sie für ein koloraturgespicktes Solo zum Oboisten in den Graben steigt. Auch alle anderen überzeugen.

Der Knaller aber ist Sopranist Samuel Mariño! Sängerisch wie darstellerisch verblüffte und begeisterte der Venezolaner mit seiner fulminanten und sicheren Höhe selbst erfahrene Händelfans. Er ist der Bauer im römischen Macht-Schach und soll Berenice heiraten, was er auch will und am Ende darf. Auf der Bühne ist er vom ersten Ton an der König. Hoffentlich war man in Halle so klug, ihn sich auch für später zu sichern, wenn alle gemerkt haben, was da für ein Supertalent die Bühne betreten hat.

Tags drauf dann im Goethe-Theater Bad Lauchstädt eine andere Art von Zeitgenossenschaft: Die Spezialistin für historische Aufführungen Sigrid t’Hooft verpasste Händels Serenata »Parnasso in festa« prachtvolle Kostümgestalt und das Bewegungskorsett der Entstehungszeit. Der Jubel, den das fand, ging freilich auch auf das Konto von Wolfgang Katschner und seiner lautten compagney.

Händelfestspiele in Halle (Saale), bis zum 10. Juni. www.barock-konzerte.de

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