»Nichtarbeitende der Welt, vereinigt euch!«

Daniel Kahn über Verfremdungs-Klezmer, Immigrantenkultur und den Kampf gegen rechts

  • Jasper Nicolaisen
  • Lesedauer: 7 Min.

Ich muss gestehen, dass ich deine Musik noch nicht kannte. Ich war dann ganz begeistert davon, fand es aber schwierig zu sagen, was ich da genau höre. Wie würdest du selbst deine Musik beschreiben?

»Verfremdungs-Klezmer« war mal so ein Label. Klezmer ist eben ein Teil davon, so wie Country-Blues ein Teil von dem ist, was die Rolling Stones spielen.

Daniel Kahn

Der gebürtige Detroiter und heute in Berlin lebende Musiker Daniel Kahn, der Klezmer mit Politfolk mixt, »wirkt auf der Bühne wie ein ziemlich cooler Hund« (»Tagesspiegel«). Mit seiner Band The Painted Bird spielt er am 1. Juni um 20 Uhr im Innenhof des nd-Gebäudes am Franz-Mehring-Platz. Das Konzert ist Auftakt zum am Samstag stattfindenden Pressefest »nd live«.

Es klingt jetzt aber überhaupt nicht wie die Stones.

Weil Rock ’n’ Roll ein sehr loser Begriff ist. Er enthält Elemente vom Mississippi-Blues bis hin zu Wagner. Das ist Rock’n’Roll. Aber am Ende sind das nur Labels. Ich bin einfach sehr liedorientiert. Und sprachorientiert. Ich singe gern zwischen den Sprachen, mehrsprachig. Meine Wurzeln sind aber einfach US-amerikanische Liedermacher, Songwriter.

Sehr gefreut habe ich mich über den Song »Marsch der Arbeitslosen«. Wie angenehm, dass es in einem linken Lied mal um die geht, die nicht arbeiten.

Es gibt eine Frechheit in dem Lied, die mir gut gefällt. Es stammt von Mordechaj Gebirtig. Er war Liedermacher, Dichter, Komponist aus Krakau und hat Hunderte jiddische Lieder geschrieben, die überall auf der Welt gesungen wurden, in jüdischen Theatern, in New York, überall. Das war eine sehr gut vernetzte, internationale Kultur, schon damals. Diese Unklarheit in dem Lied finde ich gut. Es feiert eben auch die Abwesenheit der Arbeit. Die Nichtarbeitenden der Welt sollen sich auch vereinigen! Pussy Riot hat das gesagt: shirkers of the world, unite! Wie sagt man shirker auf Deutsch? Ein Fauler, der Arbeit vermeidet! Aber es gibt ja auch verschiedene Arten von Arbeit. Ausbeutung ist nicht Arbeit. Entfremdete Arbeit ist nicht Arbeit. Ich bin froh, dass ich viel Arbeit habe, aber keinen Job. Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich respektiere die Arbeit von Menschen, die Scheißjobs machen, Hartz-IV-Jobs. Ihre Arbeit ist viel mehr wert als die Summe, mit der sie belohnt wird. Ich komme aus Detroit. Ich habe gesehen, wie Ausbeutung eine ganze Stadt kaputtmachen kann. Und was für echte Arbeit nebenbei gemacht wird. Detroit ist nicht arbeitslos. Die Arbeit dort ist kulturelle Arbeit, Community-Arbeit, Gewerkschaftsarbeit. Das ist die echte Arbeit. Der US-amerikanische Folksänger und Gewerkschafter Utah Phillips macht die Unterscheidung zwischen work und toil. Work is what you do for yourself, toil is what you do for someone else. Der Songwriter Leonard Cohen hat es auch schön gesagt: Der größte Fluch der Menschheit ist Arbeitslosigkeit. Er meinte, die meisten, die Jobs haben, sind auch arbeitslos. Weil die Arbeit keine persönliche Bedeutung hat. Und das alles findet man in dem Lied.

Bei den Konzerten kommen auch viele Leute zusammen, die sich sonst nicht treffen. Das hat mir gefallen, so ein politischer Raum, wo es sonst oft preaching to the converted gibt.

We say preaching to the quire. But the quire needs good songs, too. Man muss auch den Konvertiten dann was geben können. Aber Parolen sind mir ein bisschen unangenehm. Das ist einfach nicht meine Stärke. Da singe ich lieber den »Marsch der Arbeitslosen«, der ein bisschen verwirrt. Aber: Ich sage nichts gegen klare Botschaften.

Ich finde euch in eurer Haltung sehr klar. Es scheint keine Missverständnisse über eure politischen Positionen zu geben.

Es ist vielleicht mehr der Rahmen, der Prozess. Damit die Begegnung zwischen Fremden, die vieles nicht teilen, gelingt. Und das ist für mich immer noch ein Wunder. Im Theater, im Konzert, dieser öffentliche Zusammenhalt. Man sollte das nicht unterschätzen.

Woher hast du eigentlich dieses ganze Wissen über Musik und ihre Wurzeln?

Ich bin einfach mir selbst gefolgt. Ich komme aus Detroit und habe später in New Orleans gewohnt, in New York. Mein Hintergrund ist das Theater. Ich bin aufgewachsen mit den großen Liedermachern. Bob Dylan, Tom Waits. Ich weiß nicht, wie oft ich Bruce Springsteen gesehen habe. Ich habe sogar Nina Simone gesehen. Das ist eine reiche Kultur.

Ich finde es manchmal schade, dass diese Reichhaltigkeit in Deutschland nicht gesehen wird. Viele denken, wenn es um die USA geht, nur an Trump und white America.

Und in Amerika denken alle, dass Deutschland voller Nazis ist.

Teilweise stimmt das ja auch.

Ja, aber wir haben genau so viele Nazis in Michigan. Diese nationalen Generalisierungen sind giftig, Mann. It’s bullshit. Ein Land ist nicht »ein Volk«. Ich liebe Amerika. Aber ich habe ein Riesenproblem mit dem US-amerikanischen Staat. Mit der Regierung im Spezifischen, aber auch mit dem Staat generell. Und dann sind die USA auch das Land, das uns Woodie Guthrie und Nina Simone geschenkt hat. Viele Leute sagen mir, sie hätten überhaupt keinen Bock, nach Amerika zu fahren. Aber ich habe Bock, überall hinzufahren!

Hast du noch Kontakt nach Detroit? Mein Bild von der Stadt ist eines, das sich überwiegend aus Industrieruinen zusammensetzt.

Ruin porn, pah. Meine Familie ist dort. Ich gehe immer wieder zurück. Die Stadt wurde vom Kapitalismus verraten. Und von ihm aufgebaut. Als ich dort aufgewachsen bin, habe ich mich beim Entdecken ganz naiv in diese Stadt verliebt. Detroit hat keine Probleme, die andere Städte nicht auch hätten. Heute ziehen dort viele Hipster hin, die sich Brooklyn nicht mehr leisten können und es nicht bis nach Berlin schaffen. Detroit ist wie jede Stadt eine Stadt der Migranten, eine Immigrantenstadt. Es gibt ein griechisches, ein polnisches Viertel … es ist eine Stadt, die Migranten aus der ganzen Welt gebaut haben, auch jene aus dem US-amerikanischen Süden, Kentucky, Mississippi. Weiße und Schwarze. They call it the great migration. Ich bin also mit immigrant culture und dem Thema Assimilation aufgewachsen.

Du hast mal gesagt, im Kampf gegen die politische Rechte sei die Fähigkeit zum Träumen verloren gegangen, die Fähigkeit, eine Alternative zu formulieren.

Das habe ich gesagt? Wann?

Bevor Trump Präsident wurde.

Seitdem hat sich aber einiges geändert. Hm, ich weiß nicht. Was meinst du?

Ich denke, dass es wichtig wäre, nicht immer nur darauf zu schauen, was die Alt-Right macht, und darauf zu reagieren, sondern etwas Eigenes zu formulieren.

Absolut. Diese sogenannte Alternative ist natürlich keine. Die unterstützen einfach die chauvinistischen Grundlagen der Gesellschaft. Es gibt andere Strömungen, die müssen verstärkt werden. »Alternative« wollen die sein? Die sind Reaktionäre. Sie sind eine Reaktion. Das, worauf sie so stark reagieren, ist etwas, das wir haben und schützen müssen. Und dazu brauchen wir Phantasie, für diese tatsächliche Alternative.

Hast du eine Idee für eine Alternative?

Ich kann kein fertiges Rezept vorlegen. Das kann nicht mein Job sein. Da muss ich wieder zur historischen Perspektive kommen. Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Die Vergangenheit ist nicht einfach nur immer noch anwesend. Sie enthält auch Zukünfte. Mich interessieren eher diese Zukünfte der Vergangenheit als die Vergangenheit selbst. Wir können unseren Vorgängern gegenüber sehr arrogant sein. Weil etwas schief gelaufen ist. Weil jemand verloren hat. Weil jemand geschlagen wurde. Dass ihre Träume deshalb nichts wert sein sollen, das ist sehr gefährlich. Selbstmörderisch. Vor 75 Jahren haben die Menschen im Warschauer Ghetto gegen den Faschismus und den sicheren Tod gekämpft, der für die meisten dann auch kam. Aber sie haben für verschiedene Zukünfte gekämpft. Sie waren nicht alle Zionisten, sie waren nicht alle Atheisten, sie waren nicht alle religiös, sie waren nicht alle Sozialisten. Sie haben fürs Überleben gekämpft. Aber wenn sie gesungen haben, handelten die Lieder nicht nur vom Überleben. Sie sangen auch über Gerechtigkeit, Revolution, manchmal Sozialismus. Auch für die Zionisten war Sozialismus ein Teil des Traums. Sollen wir die Träume dieser Menschen entwerten, nur weil sie getötet wurden? Um vorwärts zu kommen, müssen wir auch rückwärts schauen. Rückwärts-vorwärts, sozusagen. Wir müssen diese verlorenen Zukünfte wieder ausgraben.

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