Immunologisches Domino

Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

  • Lesedauer: 2 Min.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wogte in der Forschung ein heftiger Streit: Erfolgt die Immunabwehr durch spezialisierte Zellen oder durch frei im Blutplasma schwimmende Proteine?

Bald wurde klar, es gibt kein Entweder-oder. Für eine erfolgreiche Abwehr benötigen Zellen und Plasmaproteine einander. Anders gesagt, sie sind komplementär. Entsprechend hat sich der Begriff »Komplementsystem« als Sammelbegriff für etwa 30 Proteine des Blutplasmas, die unserem Schutz dienen, eingebürgert. Die meisten werden als inaktive Vorstufen von der Leber geliefert. Ihre Aktivierung gleicht einer Kette fallender Dominosteine. Viele dieser »Domino-Proteine« sind Proteasen, das heißt, Enzyme, die Proteine an einer bestimmten Stelle zerschneiden. Damit wird gleichsam ein Deckel entfernt, der bis dahin das aktive Zentrum verbarg. Erst ohne Deckel kann das Protein wirken. Dabei mobilisieren einige wenige Proteasen am Anfang der Kette viele nachfolgende Proteine, die häufig selbst Proteasen sind.

Die dabei aktivierten Proteine können sich fest an Krankheitserreger, nicht aber an unsere Körperzellen binden. Dort dienen sie den verschiedensten Fresszellen als Erkennungssignal. So wird das Aufspüren und Vernichten von Krankheitskeimen erleichtert, ja, manchmal sogar erst ermöglicht. Doch es gibt auch längere Dominoketten. Die dabei zusätzlich rekrutierten Proteine formen Poren in der Hülle des Krankheitserregers. Derart durchlöchert, ist sein Schicksal besiegelt. Fresszellen wie Makrophagen müssen nur noch den Restmüll entsorgen.

Das Proteindomino kann sehr unterschiedlich ausgelöst werden. Oft starten es die Mikroorganismen selbst. Dabei spielt Mannose, ein Zucker, der häufig in Strukturen von Bakterienhüllen anzutreffen ist, eine zentrale Rolle. Er wird von einer Komponente des Komplementsystems gut erkannt. Manchmal zerfällt eines der Startproteine sogar spontan. Trifft dieses zufällig aktivierte Protein nicht auf einen Erreger, wird es schnell inaktiviert.

Doch das Komplementsystem ist beileibe nicht nur Teil der unspezifischen Abwehr. Es wurde im Verlaufe der Evolution auch mit der spezifischen Abwehr verknüpft. Durch Antikörper gebändigte Erreger, etwa Bakterien, sind zwar neutralisiert, aber noch nicht beseitigt. Um sie ganz zu vernichten, lösen die gebundenen Antikörper das Komplementdomino aus.

Auch die abgespaltenen Proteinbruchstücke sind keinesfalls nutzlos. Viele von ihnen vermitteln oder befördern eine Entzündung. Einige wirken als Botenstoffe (Chemokine), die Fresszellen zum Ort des Geschehens locken.

So gewährleistet das Komplementsystem eine effiziente Vernetzung der verschiedensten Abwehrmechanismen. Eine überschießende Aktivierung kann allerdings zu Gewebeschäden führen. Deshalb wacht eine engmaschige Regulation darüber, dass unser immunologisches Domino nicht außer Kontrolle gerät.

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