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  • Politik
  • Misstrauensantrag gegen Rajoy

»Sí, se puede!«

Zum ersten Mal wurde in Spanien mit Rajoy ein Ministerpräsident demokratisch gestürzt

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.

»Sí, se puede!« »Ja, wir können es«, hallte es erfreut am Freitagmittag durch das spanische Parlament, als das Abstimmungsergebnis bekannt wurde. Nun ist der rechte Mariano Rajoy von der Volkspartei (PP) fürs Erste Geschichte. Erstmals seit dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 wurde nun ein Regierungschef über einen konstruktiven Misstrauensantrag der Sozialdemokraten (PSOE) gestürzt. 180 Parlamentarier stimmten für den Antrag, 169 dagegen, bei einer Enthaltung, womit der PSOE-Chef Pedro Sánchez neuer Regierungschef ist. Vor allem die Linkspartei Podemos (Wir können es) hofft, dass nun eine Linksregierung die fatale politische und soziale Lage verändern kann. Podemos wollte Rajoy schon vor einem Jahr stürzen, da er in zwei Wahlgängen auch mit der rechten Partei Ciudadanos (Bürger) keine Mehrheit erreichte.

Rajoy verzichtete auf die Option Rücktritt, die es ihm ermöglicht hätte, noch etwas länger geschäftsführend im Amt zu bleiben. Der Preis für die PP wäre hoch gewesen. Sie hätte die Parlamentspräsidentschaft verloren, über die sie der neuen Regierung Probleme machen kann.

Rajoys Taktik des Aussitzens ist dieses Mal gescheitert. Das vernichtende Urteil des Strafgerichtshofs im »Gürtel-Prozess« vergangene Woche, bei dem der PP institutionelle Nutznießerschaft von Korruption nachgewiesen wurde und Rajoy als Zeuge von den Richtern offen Unglaubwürdigkeit attestiert wurde, brachte Sánchez eine unverhoffte Chance, die er mit beiden Händen per konstruktivem Misstrauensvotum ergriff. Er schmiedete binnen einer Woche eine lagerübergreifende Allianz von Rajoy-Gegnern aus allen Regionen und allen Parteien bis auf die rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) und Rajoys PP. Selbst die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) konnte er gewinnen, die vor zwei Wochen noch Rajoy Minderheitsregierung zur Mehrheit bei der Verabschiedung des Haushalts verholfen hatte. Ihr streckte Sánchez die Hand aus. Er versicherte, den Haushalt beizubehalten, um Investitionen im Baskenland zu sichern.

Der Regierungswechsel in Madrid bringt Bewegung im Katalonien-Konflikt. Sánchez hatte während der Parlamentsdebatte zum Entsetzen von PP und Cs einen Dialog mit dem neuen katalanischen Regierungschef Quim Torra angekündigt. Das brachte die PNV dazu, ihm offen Unterstützung auszusprechen. Damit hatte Rajoy nicht gerechnet. Er verließ am Donnerstag fluchtartig das Plenum, um sich zu beraten. Er kehrte erst am Freitag kurz vor der Abstimmung ins Parlament zur Verabschiedung zurück.

Die Frage ist nun, wie Sánchez mit nur 85 PSOE-Parlamentariern regieren will oder ob er eine Koalition mit Podemos eingeht. Dort macht man sich schon Hoffnungen auf Ministersessel. Dazu hat er bisher nichts erklärt. Da er den bisherigen Haushalt übernimmt, umgeht er die schwierige Aufgabe, bis 2019 einen eigenen durchzubringen, was wegen der Mehrheitsverhältnisse schwierig geworden wäre.

Als Vorbild dient Sánchez die erfolgreiche Linksregierung Portugals, die seit zwei Jahren das Land aus der Krise führt. Dort werden die Sozialisten von zwei linksradikalen Parteien toleriert, und sie haben eine stabile Mehrheit. Eine solche hat Sánchez auch mit Podemos nicht. Diese Unterstützer gefallen jedoch der Parteirechten in der PSOE nicht, weshalb Andalusiens Ministerpräsidentin Susana Díaz dort lieber mit den rechten Cs regiert. Sánchez wird vermutlich versuchen, über eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Denn noch weniger gefällt PSOE-Regionalfürsten, dass er zum Sturz von Rajoy auf die Stimmen der baskischen und katalanischen Regionalparteien angewiesen war. Da dies auch in Zukunft immer wieder der Fall sein wird, werfen ihm Cs und PP »Verrat« an Spanien vor und vermuten, seine »Frankenstein-Regierung« habe Katalanen und Basken schon Gegenleistungen versprochen.

Sicher ist nur, dass die Zwangsverwaltung in Katalonien bald fallen wird und Sánchez den Katalanen im Verfassungsrahmen einen Dialog anbietet. Mehr als nichts.

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