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Traubige Trespe in Sanssouci

Ab sofort weiden Schafe im Schlosspark und dienen so der Artenvielfalt

Als der Anhänger in die richtige Position rangiert ist, ertönt von innen laut: »Mäh, mäh!« Ein Schäfer klappt die Rückwand des Anhängers herunter und öffnet das Gitter. 29 Schafe stürmen auf die abgezäunte Wiese und drehen dort erst einmal ein paar Runden. In dem hohen Gras, dass dem Schäfer bis über die Knie reicht, sind von den Tieren nur die Köpfe und die Rücken zu sehen. Bis November werden sie hier und an anderen Stellen im Potsdamer Schlosspark Sanssouci reichlich zu fressen finden.

Bereits seit Mai weiden Schafe im Berliner Schlosspark Charlottenburg. Nun versucht es die Stiftung Preußische Schlösser damit auch in Potsdam, zuerst auf einem Hektar beim Rossbrunnen hinter dem Schloss Sanssouci. Wenn hier in einigen Wochen alles abgegrast ist, wird der Zaun umgestellt. Als mögliche Weidefläche ins Auge gefasst ist zum Beispiel noch ein Areal beim Neuen Palais.

Was hier geschieht, ist zugleich ein Umweltforschungsprojekt und Gartendenkmalpflege nach historischem Vorbild. Zwar gebe es nur wenige Belege dafür, doch bestimmte Bereiche des Schlossparks haben bereits zur Zeit von Preußenkönig Friedrich II. als Viehweide gedient, erklärt am Montag Sven Hannemann, der als Fachbereichsleiter der Schlösserstiftung für den Park Sanssouci zuständig ist.

Schäfer Olaf Kolecki freut sich, dass ihm diese Möglichkeit geboten wird. In Deutschland seien 170 Nutztierrassen vom Aussterben bedroht, erläutert er. Dazu gehören die weißen Bentheimer Landschafe und die grauen Pommerschen Landschafe, die ab jetzt in Sanssouci weiden. Dem Anliegen, diese Arten zu erhalten, hat sich Kolecki verschrieben. Täglich will er nach den Schafen schauen, die rund um die Uhr hier sein werden. Das sei kein Problem für die Tiere, versichert der Schäfer. Bei einem Unwetter können sie unter den Bäumen auf dem Gelände Schutz suchen.

Die Universität Potsdam begleitet das Projekt wissenschaftlich. Um herauszufinden, ob die Schafe der Artenvielfalt im Schlosspark gut tun, sind vier Beobachtungsflächen von ein paar Quadratmetern ausgewählt, von denen zwei extra abgezäunt sind. Dort können die Tiere nicht grasen, und die Entwicklung der Pflanzenwelt an diesen abgezäunten Stellen kann mit der Entwicklung an den beiden anderen, nicht eingezäunten Stellen verglichen werden. Nach einigen Jahren lasse sich zuverlässig sagen, welche Wirkung die Schafe haben, heißt es. Für das laufende Jahr sind fünf Hektar für die Schafe reserviert.

»Wenn es sich bewährt, wovon ich ausgehe, könnten es mehr werden«, sagt Schäfer Kolecki. Die Erfahrung lehre, dass Schafe der Artenvielfalt förderlich sind. Eine Rolle spielt dabei der Kot der Schafe.

Die anwesenden Wissenschaftler können bestätigen, dass es einen Unterschied macht, ob eine Wiese gemäht wird oder als Weide dient. »Die Schafe fressen selektiv nur das, was ihnen schmeckt«, erzählt Johannes Metz, der an der Universität Potsdam die Arbeitsgruppe Biodiversitätsforschung leitet. Das wirke anders als ein Rasenmäher, dessen Messer alles abschneiden. Außerdem schlagen die Schafe mit ihren Hufen kleine Löcher in die Grasnarbe. Es entsteht so Platz für Pflanzensorten, die dort bisher nicht gewachsen sind. Die Samen werden von den Tieren ungewollt in ihrer Wolle transportiert. Die technisierte Landwirtschaft und die moderne Welt, in der breite Straßen und große Siedlungen Naturräume voneinander abtrennen, behindert solche Dinge. Darum hat die Artenvielfalt in den vergangenen Jahrzehnten sehr gelitten.

»Man wünscht sich deswegen eine Welt wie vor 100 Jahren«, sagt Michael Burkart vom Botanischen Garten der Universität Potsdam. »Nicht für sich privat, da müsste man wieder mit dem Brikettofen auskommen«, fügt er hinzu. »Aber wegen der Natur.« Der Rasen im Schlosspark Sanssouci wird seit Jahrhunderten nicht landwirtschaftlich genutzt. Die auf Agrarflächen übliche Überdüngung zur Ertragssteigerung kennt der Park nicht. So konnte sich eine vergleichsweise ursprüngliche Kulturlandschaft erhalten. 60 verschiedene Pflanzenarten haben die Wissenschaftler auf der Weide gezählt, darunter die Traubige Trespe, eine stark gefährdete Grasart. Burkart war überrascht und erfreut, diese Pflanze hier zu finden. Vorher hat der Experte sie selten zu Gesicht bekommen.

»Das Potsdamer Weltkulturerbe überstrahlt in der Wahrnehmung, dass wir hier sehr wertvolle Wiesen haben, wie sie in Brandenburg und darüber hinaus sonst kam noch zu finden sind«, sagt Burkart. Dem Weltkulturerbe sei aber auch zu verdanken, dass alte Zustände konserviert und Pflanzenarten hier bewahrt werden konnten, bestätigt sein Kollege Metz.

Damit die Forschungsergebnisse nicht verfälscht werden, sind Besucher des Parks gebeten, die Schafe nicht zu füttern.

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