nd-aktuell.de / 07.06.2018 / Gesund leben / Seite 10

Arme Mediziner

Neu gegründete Interessengemeinschaft inszeniert Vertragsärzte als Systemopfer

Ulrike Henning

Am vergangenen Freitag gründete sich in Frankfurt am Main die Interessengemeinschaft Med (IG Med). Sie stellt sich selbst als eine Art Notwehr-Zusammenschluss von Ärzten mit quasi-gewerkschaftlichem Anspruch dar. Das heißt auch, dass die Beteiligten in Zukunft eine »Deutsche Ärztegewerkschaft« gründen wollen. Die Abkürzung IG Med suggeriert Nähe zur IG Metall, und damit Kampfbereitschaft und organisatorische Stärke. Zur Gründungsversammlung fanden sich dann 104 Ärzte ein. Die freiberuflichen Mediziner wollen sich gegen Politik und Kassenärztliche Vereinigung wehren und für ihre Interessen einsetzen. Ihnen geht es um »leistungsgerechte Vergütung« sowie um »gute, unbürokratische Rahmenbedingungen für die freiberufliche ärztliche Tätigkeit«. Das hört sich erst einmal nicht schlecht an. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass es die Initiatoren in der Gewerkschaftsfrage nicht so genau nehmen und noch ganz andere Ziele haben.

Vom Marburger Bund, der Gewerkschaft der angestellten Ärzte, heißt es zur Neugründung lakonisch: »reiner Etikettenschwindel«. Denn die Freiberufler sind oft selbst Arbeitgeber und/oder Unternehmer, sie beschäftigen nicht nur Fachangestellte, sondern zum Beispiel in Medizinischen Versorgungszentren oder Praxen auch andere Ärzte. Damit ist die sogenannte Gegnerfreiheit nicht gegeben, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung notwendiges Merkmal einer Gewerkschaft.

Ilka Enger, Vorsitzende der Gründungsversammlung der IG Med, erläutert ihr Gewerkschaftsverständnis gegenüber »nd« wie folgt: »Gewerkschaft ist in früheren Zeiten ein Zusammenschluss von freien Bergleuten gewesen, die ein eigenes Bergwerk (Gewerk) betrieben haben. Insofern ist also unsere Gewerkschaft auch ein Zusammenschluss von Selbstständigen, die sich wie im Grundgesetz verankert zur Vertretung ihrer Interessen bezüglich Arbeitsbedingungen zusammenschließen.« Relativierend fügt die bayerische Internistin hinzu: »Und dabei lässt sich Politik von gewerkschaftlicher Vertretung vermutlich wirklich schwer trennen und ist vermutlich auch nicht sinnvoll.«

Weniger salomonisch ist das Urteil über die Schlagkraft der vorhandenen Organisationen der Ärzte, etwa die Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese sind in den Bundesländern zuständig für die Honorarverteilung an die Vertragsärzte der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Den IG- Med-Gründern erscheinen sie »in Teilen obsolet«. Geregelt sind alle Fragen zur GKV im Sozialgesetzbuch V. Dieses soll mindestens reformiert, wenn nicht gar abgeschafft werden.

Diese Veränderungen würden angeblich im Interesse einer »guten Medizin« erfolgen. Am Ende stünde ein Zustand, der die Versicherten vollständig den Geschäftsinteressen der Ärzte ausliefert. Die Patienten müssten bei jeder Behandlung oder Diagnostik in Vorleistung gehen und sich anschließend mit ihrer Krankenkasse über die Erstattung auseinandersetzen. Vage wird von der IG Med eine »soziale Abfederung für die, die es brauchen«, zugestanden.

Derartige Ziele, mit Vehemenz vorgetragen, finden durchaus ein Echo unter Medizinern. Sie decken sich teilweise bis vollständig mit denen der Freien Ärzteschaft und des Hartmannbundes. Doch es gibt Berufskollegen, die das anders sehen. »Es geht nicht um gute Medizin, wenn man sich zum Beispiel gegen pauschalierte Abrechnung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen wendet. Es zeigt einfach, dass es manchen nicht passt, dass die Patienten unabhängig von ihrem Geldbeutel gleich gut versorgt werden«, moniert Michael Janßen, Ko-Vorsitzender des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte e.V.

Für besonders kritisch hält der Berliner Allgemeinmediziner die Selbstdarstellung der »Gewerkschafter« als Opfer des Systems, inklusive der Gesetzlichen Krankenversicherung. Wer sich als Vertragsarzt niederlässt, tue das freiwillig. Mediziner hätten viele Möglichkeiten, ihr Geld zu verdienen - sie könnten sich als Privatärzte niederlassen, für die Pharmaindustrie arbeiten oder auch für ein Krankenhaus. Zudem, so Janßen, verbreiteten die Akteure Fake News, denn die Abwanderung von Ärzten aus Deutschland steigt nicht etwa an, sondern ist seit etwa 20 Jahren stabil. Die Rolle der Unterdrückten passe auch nicht zu einer Berufsgruppe, in der durchschnittlich ein Jahresgewinn vor Steuern von 170 000 Euro erzielt wird.