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  • Ägyptischer Fußballstar

Ägyptens König ist ein Fußballer

Er schoss die Nationalelf zur ersten WM nach 28 Jahren. Er stürmt erfolgreich für den FC Liverpool. Er eint ein ganzes Land. Eine Reise in die Heimat von Mohamed Salah

  • Amr Mostafa, Martin Moravec und Benno Schwinghammer, Nagrig
  • Lesedauer: 3 Min.

In seinem Geburtsort Nagrig im Nildelta ist Mohamed Salah allgegenwärtig. Ein Graffito des an der Schulter verletzten Hoffnungsträgers der Ägypter für die Fußball-WM in Russland ziert die Wand des Jugendzentrums, das auch nach dem Star des FC Liverpool benannt ist. Das Haus seines Vaters Hadsch ist zu einer Art Anlaufstelle geworden. Während der Stürmer um sein Comeback für die Endrunde kämpft, pilgern Hunderte Menschen auch von weit her nach Nagrig, erzählen die Nachbarn des Vaters im Dorf.

Salah ist nicht nur ein Nationalheld, seitdem er Ägypten zur ersten WM nach 28 Jahren geschossen hat. Mit seinem Tor in der Nachspielzeit beim 2:1 gegen die Republik Kongo erlöste er eine ganze Nation. »Ägyptens König«, wie Salah in seiner Heimat genannt wird, ist auch für seine Wohltätigkeit bekannt. Stundenlang warten Hilfesuchende vor dem dreistöckigen Haus von Hadsch Salah.

An diesem Tag bleiben die Türen verschlossen. »Die Stiftung kann der großen Zahl von Menschen, die aus ganz Ägypten nach Nagrig kommen, nicht helfen«, sagte Hassan Bakr von Salahs Stiftung. Die Unterstützung sei auf die Einwohner des 120 Kilometer nordwestlich von Kairo gelegenen Nagrig beschränkt, wo es an Infrastruktur und kommunaler Hilfe mangelt. »Er spendet schon so viel«, Sagte Bürgermeister Maher Schtajeh jüngst. »Er ist aber ein Fußballspieler und weder Aladdins Wunderlampe noch ein Geschäftsmann.«

Man muss dem Bürgermeister widersprechen. Salah ist zwar zunächst ein Fußballspieler, ein überragender dazu. 42 Millionen Euro ließ sich der FC Liverpool im vergangenen Sommer die Dienste des 25-Jährigen, der zuvor bei AS Rom spielte, kosten. Mit seinem Tempo und seiner Abschlussstärke gelang ihm mit 32 Treffern ein Torrekord in Englands Eliteliga. Dafür wurde er auch zum besten Spieler der Saison gewählt.

Seit seiner im verlorenen Finale der Champions League gegen Real Madrid erlittenen Schulterverletzung fiebert ein ganzes Land mit Salah. Wird er rechtzeitig zu Ägyptens erstem WM-Spiel am 15. Juni in Jekaterinburg gegen Uruguay fit? »Ich werde mein Bestes geben«, sagte Salah und ließ die Ägypter vorsichtig aufatmen. Ohne ihn läuft es nicht annähernd so gut. Am Mittwochabend war die Nationalelf beim 0:3 (0:2) in Brüssel gegen Belgien chancenlos.

Am Donnerstag folgte das nächste Indiz für sein wohl absehbares Comeback: Salah traf nach einer Spezialbehandlung in Madrid in seinem Heimatland ein. Er wird nun erst noch Zeit mit seiner Familie verbringen, bevor er am Sonnabend in Kairo zur Nationalmannschaft stoßen soll. Tags darauf bricht der Tross zur WM auf.

Mohamed Salah ist in Ägypten aber noch vielmehr als nur ein sportlicher Nationalheld. Er ist eine Projektionsfläche. Die Hysterie um ihn kennt kaum Grenzen: Die Hotline einer Antidrogen-Kampagne verzeichnete vier Mal mehr Anrufer, nachdem Salah für sie warb. Präsident Abdel Fattah al-Sisi erkundigte sich dann auch höchst selbst per Telefon nach dessen Gesundheitszustand. »Ich sagte ihm, dass er eine ägyptische Ikone geworden ist und dass ich das Gebet eines Vaters bete, dass sein Sohn sich schnell erholt«, ließ Al-Sisi über sein Twitter-Konto verbreiten.

Die autoritäre Führung in Kairo hat in Salah einen Helden gefunden, an dem sich die staatliche Propaganda bedienen will, um die Moral der Ägypter inmitten wirtschaftlicher Turbulenzen zu heben. Bei galoppierender Inflation braucht das Land dringend Erfolgserlebnisse - die Regierung hofft auch deshalb auf anhaltende WM-Euphorie, weil bald weitere Subventionen auf Sprit wegfallen sollen. Ein Thema, das die Volksseele in der Vergangenheit regelmäßig zum Kochen brachte.

Nicht zuletzt ist Salah einer der Wenigen, der das Land eint. Ob Apparatschik oder Islamist, Muslim oder Christ, Teenager oder Greis: In Ägypten jubeln sie alle für den Jungen aus dem Nildelta. Sie alle sind stolz auf den Liverpooler Fangesang, der Salah als »Ägyptens König« preist. dpa/nd

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