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Złotys, Latexmasken und Matratzen

Das Performing Arts Festival ist mit 140 Produktionen das größte Spektakel zur darstellenden Kunst in Berlin

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist viel, es ist bunt, und man kann sich weit treiben lassen. Von den zu Klangkunst überformten Geräuschen der Stadtautobahn A 100 zum Tock, Tock der Tennisbälle auf der liebevoll hergerichteten Tennisanlage der früheren australischen Botschaft in Pankow bis hin zum Fallen von Körpern auf eine am Eingang eines Möbelmarktes in Kreuzberg befindliche Matratze. Das alles ist Teil des Performing Arts Festivals (PAF), das vom Landesverband der Freien Darstellenden Künste Berlins (Laft) nun schon zum dritten Mal ausgerichtet wird.

Es ist eine ganz besondere Veranstaltung, denn der Laft ist die Interessensvertretung der freien darstellenden Künstler, eine Art Gewerkschaft neuen Typs in einer von prekarisierten Arbeitsbedingungen gezeichneten Spektakelgesellschaft. Übertragen auf die Industrie, wäre das PAF so etwas wie eine Messe von Pflegedienstleistungen, die eine - noch zu gründende - Standesvertretung der auf Selbstständigenbasis angeheuerten Pflegekräfte und der von ihnen gebildeten Klein- und Kleinstkollektive organisiert hätte.

Mit im Boot wären als Veranstalter auch kleine und mittelgroße Unternehmen mit sympathisierender Verbindung zur Standesvertretung. Das sind die größeren Spielstätten der freien darstellenden Künste, also das HAU, die Sophiensaele, das Ballhaus Ost und der Theaterdiscounter. Die haben neben ihrem an diesen wilden Juni-Tagen ohnehin laufenden Programm noch die Nachwuchsplattform »Introducing« aufgelegt.

In der konnte man unter anderem das polnische Performerduo Romuald Krezel und Monica Duncan sehen, das tatsächlich einen Koffer voller silbrig glänzender Ein-Złoty-Münzen auf der Bühne platzierte und einen neckischen Diskurs über die Wunschvermehrung einerseits, die durchs Budget gesetzten Grenzen der Besetzung andererseits initiierte. Pro Vorstellung können nämlich je zwei Zuschauer Münzen aus dem Koffer in den an die Bühnenrückwand projizierten Trevi-Brunnen in Rom werfen und sich Wünsche dazu ausdenken. Andererseits stellen die 5000 Złoty aber auch das komplette Budget der Mini-Produktion dar. »Wenn wir unser Budget nun als Requisit brauchen, können wir daraus ja keinen Performer bezahlen«, argumentierte Krezel. Bis auf willige Zuschauer kommt daher auch kein Performer ins Rampenlicht.

Derartige personelle Zurückhaltung hätte man auch manch anderer Produktion gewünscht. Die Matratzenperformance vor dem Poco-Möbelmarkt von »Die Elektroschuhe« (wieder am Samstag und Sonntag um 17 Uhr und 18.30 Uhr) etwa lebte weniger von der performativen Qualität der beiden Brautpaardarsteller als von dem Umstand, dass immer mal wieder verblüffte Fahrradfahrer durch die Szenerie sausten und der Maiskolbenverkäufer vor dem Möbelmarkt sein Stärkungsrepertoire nun einer etwas anderen Klientel als sonst anbieten konnte.

Auch wenn man sich in die Bootschafft - einen recht neuen Veranstaltungsort in Pankow - begab, war das Ambiente sprechender als die Kunst selbst. Die künstlerische Zwischennutzung im Gebäude der australischen Botschaft wurde vor allem deshalb möglich, weil große Objekte von Industriekeramik aus der Werkstatt von Hedwig Bollhagen wie ein Gürtel das Haus in der ersten Etage umschlingen und es auf diese Art unter Denkmalschutz fiel. Die immer mal wieder geplante Umwandlung in Luxuswohnungen ist nicht ausgesetzt.

Und im Schatten der Bollhagenschen Keramik ist auch noch der Tennisplatz in vollem Betrieb, der in den 70er und 80er Jahren von australischen Diplomaten bespielt worden war. In der Bootschafft zeigt das Theater o.N., das dort im Keller auch sein Lager hat, die Performance »Affinity« für Kinder ab sechs Monaten und deren Eltern (Sonntag, 16 Uhr).

Die eingangs erwähnte Latexmaske war Utensil von »Shame«, einer anfangs wegen ihrer Fragilität sehr interessanten Performance über die Scham und das Schämen von Marie Golüke im Ballhaus Ost. Golüke vertraute im zweiten Teil aber leider nicht mehr ihren eigenen künstlerischen Mitteln und bombardierte ihr Publikum mit Audiobotschaften aller möglichen Interviewpartner (Samstag, 18.30 Uhr). Die Nachwuchsplattform »Introducing« wandert am Samstag in den Theaterdiscounter mit der Videoinstallation »A Pleasant Stay« (ab 18.30 Uhr). Die Geräusche der A 100 kann man sich im CLB Berlin im Aufbauhaus am Oranienplatz anhören.

Das Festival ist vor allem reizvoll als ein Format, sich auf dem Weg von Orten, die man kennt, zu jenen, die man kennenlernen will, ganz einfach zu verlieren. Für eine Leistungsschau sind die Produktionen von zu heterogener Machart und Qualität.

Das Performing Arts Festival läuft noch bis zum 10. Juni.

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