nd-aktuell.de / 12.06.2018 / Politik / Seite 10

»Méxicoleaks« legt schmutzige Deals offen

Mexikos Bevölkerung hinterfragt aufgrund neuer Informationen die Traumrenditen europäischer Multis im privatisierten Erdölsektor

Philipp Gerber, Oaxaca

Der linke Präsidentschaftsanwärter Andrés Manuel López Obrador darf sich die Hände reiben. Die Strukturanpassungsmaßnahmen der amtierenden neoliberalen Regierung von Enrique Peña Nieto werden heiß diskutiert, und nun macht auch noch »Méxicoleaks« pikante Machenschaften öffentlich. Demnach hat Peña Nieto Deals mit multinationalen Unternehmen geschlossen, welche den ehemaligen Staatsbetrieb Pemex aussaugen. Mit den Worten »Öl von Pemex spottbillig einkaufen und nachher an Pemex für teure Dollars zurückverkaufen«, fasste die Journalistin Carmen Aristegui ein solches Geschäft staunend zusammen. In Aristeguis Radioprogramm erklärte Claudia Ocaranza von der Whistleblower-Plattform Méxicoleaks, was ihnen genau »zugeflüstert« wurde: Die ehemals rein staatliche Erdölfirma Petroleos Méxicanos (Pemex) schloss 2015 mit dem Rohstoffhändler Trafigura Verträge ab, laut denen Pemex dem Multi mit Sitz in der Schweiz und den Niederlanden das Schweröl Naphta zur Weiterverarbeitung für mexikanische Pesos verkauft und gleichzeitig Pemex dazu verpflichtet ist, nach der Raffinierung des Rohöls die Produkte von Trafigura abzukaufen, dies jedoch dann für US-Dollar. Ocaranza erklärt eine besonders schädliche Vertragsklausel: »Trafigura ist es freigestellt, auch an andere Käufer zu verkaufen, aber sollten diese einen geringeren Preis zahlen, ist Pemex dazu verpflichtet, den Preisunterschied an Trafigura auszugleichen.« In der Stadt Reynosa im Bundesstaat Tamaulipas, baute Trafigura seine Fabrik und hat während zehn Jahren den Absatz an Pemex in der Höhe von gut 1,5 Milliarden Dollar garantiert.

»Unser Huhn mit den goldenen Eiern ist leider eingegangen«, meinte Präsident Peña Nieto sarkastisch, als er 2017 inmitten von Protesten gegen die Benzinpreiserhöhungen die Politik seiner Regierung verteidigte. Der staatlich verwaltete Erdölsektor war ein Überbleibsel aus der Zeit der mexikanischen Revolution, ein Dorn im Auge der neoliberalen Politik. Im offiziellen Diskurs ist es Pemex nicht mehr möglich, die Investitionen zu tätigen, um neue Ölvorkommen anzuzapfen. In den fünf Jahren seit Amtsantritt von Peña Nieto schrumpfte die Erdölproduktion von Pemex um 30 Prozent, der Konzern konnte 50 Prozent weniger in den Erhalt seiner Infrastruktur investieren, Lecks und Explosionen mit immensen Umweltschäden nehmen zu. Demgegenüber stehen die teuren Reimporte des in den USA raffinierten Benzins. Die von allen großen Parteien getragene »Energiereform« kostet diese im aktuellen Wahlkampf nun massiv Stimmen. Der linke Präsidentschaftsanwärter Andrés Manuel López Obrador von der neuen Partei Morena verspricht, die Strukturanpassungsmaßnahmen »kritisch zu hinterfragen« und »für die Interessen des Landes schädliche Verträge rückgängig« zu machen.

Neben Trafigura drängen auch andere Erdöl-Multis auf den Markt, während der Marktanteil von Pemex aufgrund fehlenden Kapitals implodiert. Glencore, der weltweit größte Rohstoffhändler mit Sitz in der Schweiz, importiert sein eigenes Benzin und beliefert eine Tankstellenkette. Auch Odebrecht hat sich ein großes Stück des Kuchens gesichert. Der brasilianische Konzern schloss seit 2011 Verträge zu Ungunsten von Pemex dank Schmiergeldern, die auch an höchste Funktionäre der regierenden Partei PRI geflossen sind. »Mexicoleaks« belegt, dass der aktuelle PRI-Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei, José Antonio Meade, als ehemaliger Wirtschaftsminister wider besseres Wissen einen Vertrag mit der Odebrechtfabrik Etileno XXI absegnete, der Pemex aufgrund überteuerter Abnahmepreise des Polyethylen innerhalb von zehn Monaten über 150 Millionen Euro Schaden zufügte.

Der intransparente, korruptionsgetränkte, von Oligopolen durchsetzte mexikanische Markt ist der ideale Nährboden für die Wachstumsträume der Rohstoff-Multis. Doch ein Damo-klesschwert droht: Was, wenn Andrés Manuel López Obrador die Wahlen vom 1. Juli gewinnt und sich zusammen mit neuen Mehrheiten im Parlament erdreistet, die »Liberalisierung« zu hinterfragen? Fieberhaft verhandeln deshalb die Regierungen, unter anderem die EU-Kommission, mit Mexiko über Modernisierungen der Freihandelsabkommen mit dem Ziel, per Investitionsschutzklauseln »die Reformen im Energiesektor unumkehrbar festzuschreiben« und so den Handlungsspielraum einer zukünftigen Regierung massiv einzuschränken, wie die Studie »Menschenrechte auf dem Abstellgleis« warnt, die Thomas Fritz für das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika kürzlich erstellt hat.