nd-aktuell.de / 15.06.2018 / Politik / Seite 5

Deutsche Rassisten kündigen »Hilfsprojekt« im Nahen Osten an

Durch vermeintliche Entwicklungsarbeit in Flüchtlingscamps wollen Identitäre die Migration nach Europa stoppen

Niklas Franzen

Ein kleiner Junge tapst durch ein Zeltlager. Kleidungsstücke schaukeln im Wind an einer Wäscheleine. Vor einem schneebedeckten Berg spielen zwei Kinder auf einem Acker Fußball. Schnitt, ein Deutscher mit einem »AHA!«-Schriftzug auf dem grauen T-Shirt fängt an, zu sprechen: »Krieg, Naturkatastrophen, Armut, Unterdrückung – es gibt viele Gründe, die Menschen zwingt ihre Heimat zu verlassen.«

Ein typisches Video einer westlichen Hilfsorganisation - würde man denken. Allerdings: Die jungen Männer in dem zwei minütigen, mit theatralischer Musik unterlegten Clip sind keine Entwicklungshelfer, sondern stramme Rechte. Die dort vorgestellte »Alternative Help Association« (AHA) ist das neustes Projekt der Identitären Bewegung (IB).

Nach eigenen Angaben ist AHA das »erste patriotische Hilfsprojekt«. Bereits im vergangenen Sommer soll dafür ein Verein gegründet worden sein, der jedoch erst in diesem Mai erstmals öffentlich in Erscheinung getreten ist. Eigentlich wollten die Rechten nach Syrien, doch dreimal wurde ihr Visum abgelehnt. Deshalb ging es nach Libanon, wohin genau bleibt in dem Video unklar. Auf Anfrage des »nd« konnte eine Caritas-Mitarbeiterin in Libanon nicht den genauen Drehort feststellen, vermutet jedoch, dass es sich um ein Flüchtlingslager in Westbekaa im Gebiet Baalbek handelt.

Rechte Diskursverschiebung

Bei den beiden Männern, die im Video zu sehen sind, handelt es sich um Sven Engeser und Nils Altmieks. Beide sind führende Köpfe der Identitären Bewegung. Während der Schwabe Engeser bislang nur selten öffentlich in Erscheinung trat, ist der aus Altenbeken in Westfalen stammende und mittlerweile in Bayern lebende Altmieks seit Jahren in rechtsradikalen Kreisen unterwegs. Laut der Journalistin Andrea Röpke war der Bauingenieur früher Mitglied in der mittlerweile verbotenen neonazistischen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ).

Rassisten und Entwicklungsarbeit, wie passt das zusammen? Der Soziologe und Identitären-Experte Jerome Trebing meint: »Die Umdeutung von Diskursen ist ein Ziel der Identitären, deshalb passt dieses Projekt gut zu ihnen«. Die Strategie ist nicht neu: In eine ähnliche Richtung gingen Projekte, bei denen die IB beispielsweise in der Steiermark erklärte, patriotische Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten leisten zu wollen oder in Hamburg dazu aufrief, Vormundschaften für minderjährige Geflüchtete zu übernehmen. Das Ziel: Den Diskurs beherrschen und nach ihrem Weltbild formen. Auch bei AHA gehe es laut Trebing weniger darum, wirklich Hilfe zu leisten, als darum bestehende Projekte in der Region zu diskreditieren, das »linke Establishment« anzugreifen und Stimmung gegen die Migration nach Europa zu machen.

Das alte Lied des Ethnopluralismus

So wird auch in dem Video schnell klar, worum es AHA geht: Verhindern, dass Menschen nach Europa migrieren. Engeser sagt: »Wir von der alternativen Hilfe sind davon überzeugt, dass die Migration nach Europa nicht die Lösung für die Probleme vor Ort sein kann.« In einem Interview mit dem rechten Vlogger »Operation Fregin« erklärt der schwäbische Rechte, dass AHA »echten Flüchtlingen helfen« wolle, »die sich die NGO-Schlepper-Taxis nicht leisten können, um hier rundum versorgt zu werden.«

Für Till Küster von medico international ist die Strategie der Identitären »perfide«. Seine Organisation arbeitet seit mehreren Jahrzehnten in Libanon und unterstützt vor Ort viele Projekte. Dem »nd« sagt Küster: »Sie missbrauchen die Bedürfnisse der Menschen vor Ort, mit dem Ziel Menschen abzuwehren. Dabei setzen sie sich in keiner Weise mit der politischen Situation vor Ort und den Gründen für Flucht auseinander.« Und die Kritik der IB an den »Mainstream-Hilfsorganisationen«? »Natürlich könnte vieles besser laufen, aber im Libanon gibt es viele gut koordinierte Hilfsmaßnahmen.«

Für Trebing ist AHA ein gutes Beispiel für den »Neorassismus« der IB. Er meint: »Man erkennt die Anderen an, aber nur solange sie dort bleiben, wo sie herkommen.« Dieses Weltbild wird oft auch als Ethnopluralismus bezeichnet.

Doch was ist in Libanon genau geplant? AHA erklärt, dass sie durch die monatlichen Spendengelder einzelnen Familien helfen wollen, etwa ihre Zeltplätze zu finanzieren oder Lehrern das Gehalt bezahlen wollen. Auf Facebook und Instagram werden Fotos von Bedürftigen gepostet, denen angeblich mit den Spenden geholfen werden könne. Mehrere Hilfsorganisationen, die von »nd« angefragt wurden, sind bisher allerdings keine Aktivitäten von AHA in der Region bekannt. Reiner Fritz von Caritas sagt dem »nd«: »Die Annahme, dass es sich lediglich um einen Fake handelt, ist plausibel.« Auch das Auswärtige Amt erklärt auf Anfrage des »nd«, dass außer den öffentlich zugänglichen Informationen »keine nähere Erkenntnisse zu der fraglichen Organisation und ihrer Arbeit im Libanon« vorliegen.

Schwacher Start und fragwürdige Spendenkampagne

Die IB ist für professionell aufgezogene Kampagnen und eines hippes Marketing bekannt. Ihre Strategie: rassistische Inhalte in einer schönen, bunten Verpackung. Für den Experten Trebing wirkt AHA im Vergleich zu anderen Projekten aber »fast dilettantisch«. Und das Projekt kommt nicht richtig in Schwung. Das Video hat bisher nur wenige Klicks, die Facebook und Twitter-Seiten nur wenige Follower.

Dies könnte auch daran liegen, dass AHA bislang nicht von anderen, rechten Netzwerken, wie EinProzent oder Info-Direkt, unterstützt wird. Und auch die Rezeption in der Szene ist eher negativ. Bei Youtube finden sich zahlreiche Kommentaren, die das vermeintliche »Gutmenschentum« der IB kritisieren. Der User YungDude schreibt: »Kein Verständnis dafür, helft lieber den armen deutschen Familien anstatt wieder zu glauben, dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll! Verschwendet nicht eure Ressourcen an die N***, überlasst sie sich selbst. Alle deutschen Ressourcen werden zum Wiederaufbau von Deutschland gebraucht!«

Trebing glaubt ohnehin, dass die IB das Projekt nutzt, um Gelder umzuleiten oder für andere Zwecke zu sammeln. Es wird auch vermutet, dass Gelder nach Österreich fließen könnten. Denn dort hat die IB derzeit massive Probleme mit staatlicher Verfolgung. Häuser und Clubräume wurden von der Polizei durchsucht, Konten eingefroren und mehrere Mitglieder müssen sich vor Gericht verantworten. Und AHA gibt sogar zu, die Spenden auch in Europa einsetzen zu wollen. Auf der Homepage heißt es, dass das Geld für »Hilfe vor Ort in den Krisenländern oder patriotische Aufklärungsarbeit in Europa« verwendet werden soll.

Was auch immer hinter AHA steht, dass die IB wirklich notleidenden Menschen helfen will, ist unwahrscheinlich. Es scheint, als gehe es wieder einmal darum, neue Wege für alte rassistische und flüchtlingsfeindliche Positionen zu finden.