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  • Integration Geflüchteter

Erste Schritte zu einem Wir-Gefühl

In Lichtenberg haben Geflüchtete die Freizeitanlage ihres Heims mitgeplant und gebaut

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der kleine Adnan am Donnerstag mit Bezirksbürgermeister Michael Grunst (LINKE) unter dem Basketballkorb um den Ball rangelte, hatte er keine wirkliche Chance. Grunst, ein stattlicher Mann, zeigte dem Dreikäsehoch aus Syrien aber geduldig, wie man einen Korb wirft. »Wir haben in der Schule ein wenig Basketball gespielt«, sagte er fast schon entschuldigend.

Dass der schmächtige Fünfjährige, der mit seinen Eltern in der Gemeinschaftsunterkunft an der Konrad-Wolf-Straße wohnt, dort jetzt ausgiebig üben kann, hat er dem Heimbetreiber, der Unionhilfswerk Soziale Dienste gGmbH, und den Bewohnern zu verdanken. Gemeinsam haben sie den neuen Spielplatz mit den Freizeiteinrichtungen und Sportgeräten konzipiert und beim Bau selbst angepackt. Fertiggestellt haben sie bis jetzt ein kleines Picknickhäuschen, eine Kletterspinne, ein Reck und besagten Basketballkorb sowie eine Hängematte. Bald sollen weitere Spielgeräte folgen, vor allem eine Tischtennisplatte, und es soll eine Boulebahn angelegt werden.

Dass die Außenanlagen in dieser Form gestaltet wurden, entspricht weitgehend den Wünschen der Heimbewohner. »Dazu haben wir gemeinsam mit dem Bezirk Lichtenberg und dem Bürgermeister ein Partizipationsprojekt entwickelt«, erklärte die Leiterin der Einrichtung, Andrea von Marschall. Dabei gehe es um demokratische Mitwirkung. Und: »Es geht auch darum, das Selbstwertgefühl der Menschen, die so viel Schweres durchgemacht haben, zu stärken.«

Über die geplanten Maßnahmen wurde gemeinsam beraten und anschließend abgestimmt. Die Pläne wurden ausgestellt, und auch die Ergebnisse der Abstimmung wurden öffentlich gemacht. »Bis zu 42 Prozent der Bewohner ab sechs Jahren haben abgestimmt«, so von Marschall. »An den Arbeiten am Spielplatz haben sich rund 30 Erwachsene aus dem Heim und vielleicht 20 Kinder beteiligt.« Die Teilnahme sei zwar unter den Möglichkeiten, aber doch »respektabel« gewesen. Immerhin.

Die Flüchtlingsunterkunft in der Konrad-Wolf-Straße 46 bietet Platz für 455 Personen - sie stammen derzeit aus mehr als 20 Ländern. Die meisten der Bewohner kommen aus Syrien (190), Afghanistan (80) und Irak (66). Mehr als 200 von ihnen sind unter 18 Jahre alt, doch 429 Bewohner leben jetzt in Familien, bei 20 Familien ist nur ein Elternteil da.

Der Achtgeschosser, 2015 als Flüchtlingsunterkunft eröffnet, war zuvor ein Sportlerwohnheim, das zum Sportforum Hohenschönhausen gehörte. Inzwischen ist es saniert worden, hat eine neue, freundliche Fassade, und ist vor allem zum benachbarten ehemaligen Sporthotel und Kongresszentrum an der Ecke zum Weißenseer Weg mit einem Zaun gesichert. Vandalismusattacken haben bewirkt, dass dieses bei seiner Einweihung Ende der 1970er Jahre hochmoderne Ensemble inzwischen wie eine Kriegsruine aussieht - ein Umstand, der vor allem bei aus Bürgerkriegsregionen geflüchteten Menschen immer wieder auch Beklemmungen auslöst.

Gerade Andrea von Marschall ärgert das. War doch ihr Arbeitgeber, das Unionhilfswerk, 1946 mit dem Ziel gegründet worden, nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlingen und obdachlosen Berlinern zu helfen. Gemeinsam mit ihrem Team setzt sie alles daran, den Bewohnern ein ansonsten möglichst angenehmes Wohnen zu ermöglichen. »Die wichtigste Regel bei uns lautet: Hier ist ein gewaltfreier Raum«, sagte die Leiterin. »Die Bewohner finden hier Sicherheit und Ruhe. Dies und das Zusammenleben in Familien ist ein heilsamer Fakt, der ihnen hilft, ihre Traumata zu überwinden.« Anders, als in den Massenunterkünften der ersten Monate, die keine Privatsphäre zuließen, bietet die Gemeinschaftsunterkunft speziell für Familien gute Bedingungen. Es gibt 112 Apartments - zwei Zimmer, Küche und Bad - sowie sieben Einzelzimmer vor allem für Menschen mit speziellen Anforderungen.

Galt Phase 1 des Beteiligungsprojektes dem Wohnumfeld, wird nunmehr an einem Netz von Kontakten und Patenschaften mit regionalen Gremien im Kiez geknüpft. »Wir gehen davon aus, dass wir es mit vielen der Geflüchteten für lange Zeit zu tun haben, und viele von ihnen werden auch hierbleiben«, erinnerte Bezirksbürgermeister Michael Grunst.

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