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Kein einziger ist masturbationswürdig

Bei dieser WM ist die englische Mannschaft echt sympathisch!

  • Jacinta Nandi
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei dieser WM ist die englische Mannschaft echt sympathisch! Hübsch sind sie nicht, die Spieler, aber sympathisch. Jahrelang war die Mannschaft ein Arschlöcherhaufen. Elf Arschlöcher standen auf dem Feld, die ständig Rentnerinnen zu Blowjobs zwangen und Swimming Pools in Tiefgaragen unter ihren Häusern bauten. Jetzt besteht die Truppe aus sympathischen Jungs mit Problemen im Kopf, Angst auf dem Gesicht, Sorgenfalten. Und wie alle Fußballexperten wissen, entsteht ein Sieg bei der WM zu 99 Prozent aus einer Mischung von Sympathie und Karma-Punkten; nur zu einem Prozent sind die fußballerischen Qualitäten und das Glück entscheidend.

Mein deutscher Kumpel Jörg ist bei mir vorbeigekommen, um das England-Spiel anzuschauen. Er möchte nicht im Biergarten gucken. Dort gucken zu viele Frauen mit, sagt er. Sie sitzen im Weg, reden sehr laut über die Schwanzgröße der Spieler, konzentrieren sich überhaupt nicht aufs Spiel. »Es nervt mich nicht«, sagt Jörg, »dass Frauen jetzt beim Fußball mitgucken wollen. Was mich nervt, ist, dass sie nicht mitgucken! Sie plaudern lieber über ihre Probleme auf Arbeit, dann stöhnen sie jedes Mal wenn der süße Schweini im Bild erscheint.« »Was für kranke Frauen kennst du!«, sage ich. »Über Schweine stöhnen? Schweini ist nicht mal dabei, aber sogar wenn er es wäre, wer stöhnt für ihn, wenn es Hummels und Draxler gibt?«

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

Acht nd-Redakteurinnen und -Redakteure, ergänzt um vier Gastautorinnen und -autoren, kommentieren das Geschehen rund um die Fußball-WM in Russland aus feuilletonistischer Sicht. Warum 12 und nicht 11? Ganz einfach: Der linke Fußballfan weiß, dass es immer auf den 12. Mann (oder die 12. Frau) ankommt!

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»Ich mein’s ernst, Jacinta!«, sagt Jörg. »Ist es feministisch vertretbar, die Männer der Nationalelf so auf die Körper zu reduzieren? Nur weil Männer Frauen manchmal zum Objekt degradieren?«

»Wir reduzieren sie nicht auf ihre Körper«, sage ich. »Wir finden ihre Gesichter auch hübsch!«

Heimlich finde ich es unfair, dass alles, was eine Frau macht, feministisch vertretbar sein soll. Die Männer gucken Bukkake-Videos und drehen Werbespots, in denen nackte Frauen Bohrmaschinen, Waschmaschinen und Kaffeemaschinen verkaufen sollen. Und wir sollen nicht mal beim Fußballgucken merken, dass Julian Draxler einer der fickbarsten Männer ist, der je auf dieser Erde gelebt hat. »Na ja«, sage ich, »die englischen Männer taugen recht wenig als Sexualobjekte, oder? Ziemlich hässlich sind sie alle, oder? Sterling geht, aber kein einziger der anderen ist wirklich - masturbationswürdig.«

Mein Teenager kommt wieder nach Hause, er war mit dem Baby am Spielplatz. Das Baby darf bis zur Halbzeit wach bleiben. Nach dem 1:0 tanzen wir im Wohnzimmer, alle außer Jörg. Das Baby versucht mitzutanzen. Da das Baby nicht stehen kann, muss es sich immer an etwas festhalten und dabei seinen Po hoch- und runterbewegen. Als Tunesien das Ausgleichstor erzielt, wird die Stimmung im Wohnzimmer schlagartig schlecht. Wir warten einfach. Wir warten und warten. Die Halbzeit kommt, das Baby schläft, und wir warten immer noch. Ich sage zu meinem Sohn: »Wenn ein Tor für England fällt, musst du schweigend jubeln, damit das Baby nicht aufwacht.« Jörg sagt: »Es fällt vielleicht kein Tor mehr, es tut mir so leid für euch!« Und dann, in der Nachspielzeit, geschieht ein Wunder! Der Teenager schreit so laut, dass jedes Baby in Berlin es gehört haben muss, aber aus irgendeinem Grund schläft unseres weiter. Jörg geht nach Hause. Ich bin so müde, dass ich schlafen gehe, ohne mir die Zähne zu putzen.

Der Teenager weckt mich: »Hast du die Zähne geputzt, Mama?« Wir watscheln zum Badezimmer, putzen unsere Zähne. »Erinnerst du dich«, sagt mein Sohn, »wie die Tunesier immer Kane zu Boden geworfen haben? Wie Sumo-Ringer?« Ich lache. »Es macht so viel Spaß«, sage ich, »wieder sympathisch zu sein.«

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