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  • Repression in Russland

Fußball könnte in der Mitte der Gesellschaft ankommen

Der Moskauer Fan-Aktivist Robert Ustian im Interview über russische rechte Hooligans und die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen Verbänden und Fanszenen

  • Benjamin Schacherl, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Weltweit haben Medien im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft über russische Hooligans berichtet und damit viele Fans in Alarmbereitschaft versetzt. Wie wird die WM in den aktiven Fanszenen im Land wahrgenommen?
Hysterische, englische Medien haben für Angst vor Übergriffen der Hooligans gesorgt. Dabei geht es ihnen vor allem darum, gezielt russophobe Gefühle anzusprechen. Das ist eine lange Geschichte, die nicht mit Fußball oder der WM zu tun hat. Für die organisierten Fanszenen ist die WM allerdings ein Albtraum. Gegen sie wird rigoros durchgegriffen, weil viele von ihnen rechtsextrem und einige Teile von Hooligan-Gruppierungen sind. Die Sicherheitskräfte läuten bei ihnen um 5.00 Uhr morgens und sagen: »Hallo! Du weißt, wer wir sind. Wir wissen, wer du bist.« Dann wird den Leuten ein Dokument unter die Nase gehalten, das sie unterzeichnen müssen.

Was genau sollen sie unterschreiben?
Die Unterzeichner versprechen darin, dass sie während der WM keine Probleme machen. Für sie gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Sie sperren sich zuhause ein und tun so, als ob sie nicht hier wären. Zweitens: Sie verlassen das Land für die Dauer der WM. Drittens: Sie machen nichts von beidem. Aber dann werden sie auf eine lange Reise nach Sibirien geschickt. So sollen die Fans eingeschüchtert werden.

Robert Ustian

Robert Ustian ist Fanaktivist und beobachtet die rechtsextreme, russische  Hooliganszene seit Jahren. Der 34-Jährige ist Fan von ZSKA Moskau und hat vor vier Jahren die Initiative „CSKA Fans Against Racism“ gegründet. „Mittlerweile sind wir eine kleine NGO im Verein geworden“, sagt er. Im Interview spricht er über seine Arbeit als Aktivist, die russischen Hooligans und welches Dokument sie vor WM-Beginn unterzeichnen mussten. Mit ihm sprach Benjamin Schacherl.

Unerwünschte Personen werden in ein Straflager deportiert?
Ja. Ich will ehrlich sein: Auch unter meinen Freunden sind Hooligans. Sie mussten diese Erklärung unterzeichnen. Alle, die in einer aktiven Fanszene sind, werden massiv verfolgt. Es gibt Leute, die das Land deswegen verlassen haben. Vor der Europameisterschaft 2012 wurden in Polen etliche Fans eingesperrt. Hier bevorzugen es die Leute, wegzugehen aus Russland.

Betrifft die Repression dann nicht »die Richtigen«?
Die organisierten Fangruppen sind definitiv rechts, aber sie sind nur ein kleiner Teil der russischen Fußballfans. Das Problem ist, dass es im russischen Fußball überhaupt kein Bewusstsein für den Umgang mit Fanszenen gibt, es gibt keinen Dialog mit der Fußballgesellschaft.

Wie kommt die WM bei der Allgemeinheit der Fußballfans an?
Die Leute freuen sich extrem, es ist überall eine ausgelassene Stimmung. Die Menschen feiern, singen, tanzen. Es ist überwältigend. So habe ich Moskau noch nie gesehen.

Was bleibt von diesen Eindrücken, wenn der WM-Zirkus aus Russland abgezogen ist?
Ich habe einen großen Traum, was das Vermächtnis der WM betrifft. Ich hoffe, dass der Fußball durch die WM in der Mitte der Gesellschaft ankommt und dass dieses Turnier etwas zurücklässt, von dem die gewöhnlichen Bürger Russlands profitieren. Ich wünsche mir, dass die Leute mit ihren Familien und Freunden ins Stadion gehen.

Sie sind Fan von ZSKA Moskau und haben eine Initiative gegen Rechtsextremismus bei Ihrem Verein gegründet. Warum und worin besteht Ihre Arbeit?
Der Auslöser war ein Champions-League-Spiel von ZSKA beim AS Rom im September 2014. Im Auswärtssektor waren Nazi-Banner gezeigt worden. Ein paar wenige Fans hatten unser Image wieder einmal zerstört. Am Tag nach dem Spiel schrieb ich dazu einen Artikel. Jetzt sind wir zwölf Personen, die Kampagnen- und Aufklärungsarbeit machen. Wir schreiben Berichte und erklären den Leuten, was das Hakenkreuz oder der Totenkopf der Waffen-SS bedeuten. Viele Fans hier wissen das nicht und benutzen die Symbole, ohne sie zu hinterfragen.

Wie fielen die Reaktionen auf Ihr Engagement aus?
Wir haben hunderte Mails und Anrufe bekommen. Es gab eine schweigende Mehrheit, die keine Plattform gefunden hat, um ihre Anliegen vorzubringen. Jetzt ist das anders. Paradoxerweise melden sich auch Rechtsextreme bei uns, um uns um Hilfe zu bitten, wenn sie Probleme mit der Polizei haben. Das ist unglaublich. Jetzt passiert es auch, dass uns ein Fan schreibt, wenn er einen kalten Hamburger bekommt.

Wie hat sich Ihre Arbeit auf den Verein ZSKA Moskau ausgewirkt?
Es ist uns gelungen, das öffentliche Bewusstsein für Antidiskriminierung zu steigern. Die Vereinsverantwortlichen sind endlich aufgewacht und hören jetzt auf uns. Sie wissen, dass es nicht so weitergehen kann. Die anderen Klubs wie Spartak Moskau oder Zenit St. Petersburg schlafen dagegen noch. Das rassistische Verhalten ihrer Fans wurde zuletzt von der UEFA mit Stadion- und Sektorsperren bestraft. Dadurch stehen aber auch diese Vereine unter Druck.

Welche Folgen erhoffen Sie sich noch von Ihrer Arbeit?
Wir sind eine kleine Organisation, aber wir haben es geschafft, das schlechte Image von ZSKA zu beeinflussen. Jetzt müssen auch Fußballverband und Behörden begreifen, dass sie mit den Fans reden müssen. Es muss einen Dialog geben.

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