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  • Zwangsräumung in Berlin

Auf die Straße wegen der Rendite

Kreuzberger Mieterin soll geräumt werden, weil der Vater ihres Kindes mit einzog

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gab eine Phase, da schien der Konflikt um ihre Wohnung das kleinste Problem von Cecilia, Yaser und ihrem kleinen Sohn Elyas zu sein, die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Inzwischen ist das anders: Diesen Dienstagvormittag ab 11 Uhr stehen sie wegen einer Räumungsklage vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg. Grund für den Konflikt ist die Untervermietung an ihren Lebensgefährten Yaser.

2011 ist Cecilia mit einer Freundin in der 80 Quadratmeter großen Wohnung in der Lübbener Straße 22 in Kreuzberg eingezogen. Beide wurden Hauptmieterinnen. »Wir haben niemals gedacht, dass das mal zum Problem werden könnte«, sagt Cecilia. Zu ihrem Vermieter hätten sie ein herzliches Verhältnis gepflegt. 2016 habe dieser dann die Wohnungsgeschäfte an zwei Söhne übertragen.

2017 lernte Cecilia in einer Flüchtlingsunterkunft, in der sie an der Essensausgabe half und Kinder betreute, Yaser kennen, der aus dem irakischen Mossul stammt. Sie verliebten sich, Cecilia wurde schwanger. Parallel zerbrach die Freundschaft zu ihrer Mitbewohnerin. Es lag nahe, dass diese sich aus dem Mietvertrag zurückziehen und Yaser dafür einziehen würde. »Dann aber haben sie gesagt: Es müssen alle kündigen«, erzählt Cecilia. Sie habe darum gebeten, dass Yaser als Untermieter einziehen dürfe.

Als die Vermieter dies abgelehnt hatten, sei ihr bei der Mieterberatung gesagt worden, sie habe ein berechtigtes Interesse, dass der Vater ihres Kindes in die Wohnung ziehe - sie müsse dies dem Vermieter bloß mitteilen.

Schließlich sei ein Angebot gekommen: Yaser dürfe ohne Untermietzuschlag einziehen, wenn sie zum 30. Juni 2017 kündigen würde. Der Geburtstermin war für Ende Februar berechnet. Sie hätte mit einem frischgeborenen Kind auf eine Wohnungssuche hätten gehen müssen, für die sich Cecilia wenig Chancen ausrechnete. »Mit unserer Biografie als freischaffende Künstlerin und Flüchtling«, erklärt die Schauspielerin und Kulturmanagerin.

Sie berichtet, wie sie wegen der Mietkostenübernahme hochschwanger stundenlang in Schlangen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) verbrachte. »Es war eine Katastrophe«, sagt Yaser. Um ein Einverständnis zur Untervermietung zu geben, hätten die Vermieter die Zustimmung ihrer alten Mitbewohnerin gewollt, die jedoch nicht vorlag.

Wie sich der Konflikt aus Sicht der Vermieter darstellt, ist unklar. Einer der beiden Brüder bat auf Nachfrage am Telefon um Verständnis dafür, dass er Journalisten in dieser Angelegenheit keine Auskunft gebe.

Für die Mieter war der Streit damals eine von vielen Baustellen. Irgendwo auf dem Weg von einer Behörde verschwanden Yasers Ausweisdokumente, erzählt Cecilia. Ohne diese hätten sie zunächst keine Geburtsurkunde bekommen, kein Kindergeld, kein Elterngeld. »Ein einziges Chaos voller Absurditäten.« Im Hintergrund schwelte der Konflikt mit den Vermietern. »Ich habe Yaser damals gesagt: Irgendwann wird die Wohnung unser größtes Problem.«

Kurz vor der heutigen Verhandlung ist die Stimmung gedrückt. Nur der 15 Monate alte Elyas sitzt er in seinem Kinderstuhl und singt fröhlich, während seine Eltern erzählen. Bei einer Besichtigung hätten die Vermieter ein neues Angebot gemacht: Die Mieterin solle irgendwann im Jahr 2018 selbst kündigen. Die Entscheidungsfrist von wenigen Tagen sei zu kurz gewesen, kritisiert Cecilia. Sie habe so kurzfristig keinen Termin bei einer Mieterberatung bekommen. Im Juli 2017 erreichte sie dann die Kündigung für Ende Januar 2018. Bei der Mieterberatung sei ihr daraufhin geraten worden, nicht auszuziehen, sagt Cecilia. Vom Vermieter habe sie auf Nachfrage erfahren, die Wohnung solle »leer verkauft« werden. In der Regel erhöht das den Erlös.

Die Familie wandte sich an die Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez. »Ich war früher schon bei Demos dabei, als es mich noch längst nicht betroffen hat«, so Cecilia. Vergangenen Mittwoch organisierte die Initiative eine Kundgebung vor dem Haus in der Lübbener Straße. Nachbarn und Mitglieder von Yasers Sportgruppe waren dabei. Die Kinder von Elyas’ Krabbelgruppe trugen T-Shirts mit seinem Namen. »Insgesamt war es ganz toll«, sagt Cecilia.

Ob die Solidarität etwas bewirken kann, wird sich zeigen. Es sei immer schwierig, sich als einzelne Mietpartei zu wehren, sagt Cecilia. Denn anders als in anderen Beispielen geht es hier nicht um ein ganzes Objekt. Die Wohnungen im Haus gehören unterschiedlichen Parteien. Doch auch Nachbarn mit Eigentumswohnungen unterstützen die Familie.

Die Resonanz im Kiez und in den Medien ist groß. Die Geschichte einer jungen, nicht ganz alltäglichen und deswegen sehr berlinerischen Familie lässt sich gut erzählen. Ihr sei jedoch wichtig, dass sich die Aufmerksamkeit auf die allgemeine Problematik richtet, sagt Cecilia. Sie kritisiert, dass ihre Vermieter wie große Immobilienfirmen agieren würden. »Womit sich noch viel Geld verdienen lässt, sind die Grundbedürfnisse der Menschen.« Trotz ihrer Suche hätten sie bisher keine neue, bezahlbare Wohnung gefunden, sagt Cecilia. »Wir können uns in die Schlange mit 100 anderen Bewerbern stellen, aber wir werden keine Chance haben.«

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