… wer ist die Alternativloseste im ganzen Land?

Wie der Merkelismus und die Politik der Alternativlosigkeit selbst der Linken in Deutschland zugesetzt hat

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

So viele Jahre hat man sich unter Linken ein Ende von Merkels Kanzlerschaft erhofft. Nun, da ihre letzten Tage anbrechen, hofft selbst sie, sie möge noch bis zur nächsten Wahl ausharren. Ein letztes Mal ist sie die Alternativlose.

»Merkel muss weg!« Was seit geraumer Zeit eine Parole aus dem Dunstfeld der AfD ist, war vorher lange Zeit die Losung der Linken. Als die Frau nur Sozialabbau und europäische Hegemonialpolitik betrieb, waren die heutigen rechten Schreihälse noch recht ruhig. Das war nämlich nicht ihr Thema. Erst mit ihrer überstürzten und über Jahre verschleppten und ignorierten Flüchtlingspolitik kamen die Rechten auf den Trichter, die Parole den Linken zu entreißen. Die Linken im Lande benutzen den Satz seither nicht mehr so direkt, sie umschreiben das Dilemma lieber. Und manchen Moment hat es in den letzten Jahren gegeben, da hoffte man sogar als Linker, sie würde nicht sofort, nicht jetzt gleich abtreten, damit es nicht noch schlimmer kommt, als es ohnehin schon um uns steht.

So ein Moment ist jetzt. Seit zwei Wochen guckt der politisch Interessierte gebannt auf das, was sich in der Union als Machtspiel ausgestaltet. Gelingt es nun der Bundeskanzlerin nicht, eine gemeinsame europäische Asylleitlinie mit den europäischen Partnern auszugestalten, bricht diese Koalition zusammen. Was wie eine Befreiung nach so vielen Jahren Merkelismus klingen mag, ist aber nicht mehr, als der Beginn einer neuen politischen Ordnung im Lande. Denn das Ende ihrer Amtszeit fällt in eine Zeit, in der sich nicht nur die Union spaltet, sondern auch die Linke - und in der die Sozialdemokratie zu einer bedrohten Gattung wird. Von der AfD gar nicht erst zu sprechen.

Diese Verwerfungen just jetzt, da es mit Angela Merkel politisch zu Ende geht, sind keine zufällige Konstellation. Mit ihrer Politik hat sie dieses Chaos verursacht. Über Jahre hat sie es mehr oder minder darauf angelegt, die gesellschaftlichen Kohäsionskräfte zu zersetzen. Sie hat uns narkotisiert und dieses Deutschland, in dem viele nicht mehr so gut und nicht mehr so gerne leben, immer wieder verklärt. Wichtige Zukunftsentscheidungen wurden aufgeschoben, Sparsamkeit war die neue Innovationsfreudigkeit, Aussitzen Agilität. Die angeblich sozialdemokratisierte Kanzlerin hat in Wirklichkeit die Sozialdemokraten merkelisiert. Sollte nach dem Abgang Gerhard Schröders je ein Fünkchen Hoffnung darauf bestanden haben, dass die SPD sich doch noch einmal aufrappelt und wiederfindet: Merkel hat diese Alternative strategisch ausgeschaltet.

So wurde sie nach und nach zu dem, was sie immer wieder gerne predigte: alternativlos. Sie wurde zur Amtswalterin einer politischen Haltung, die Optionen für überflüssig ausgab. Ein Zustand, der in einer Demokratie fatal ist, denn was sonst als das ständige Abwägen von alternativen Wegen ist es denn, wenn man zur Wahl schreitet?

Dass Merkel abtritt, war lange eine linke Hoffnung. Aber hier und da ertappt man sich momentan wohl auch als Linker, dass man jetzt bitte nichts in dieser Frage überstürzt. Nicht, dass diese Frau Stabilität verspricht – wir kennen sie ja jetzt seit mehr als einem Jahrzehnt. Aber die Instabilität, die droht, wenn jetzt alles vorbei ist, die macht diese instabile Bundeskanzlerin temporär erträglicher. Pest und Cholera halt. Ja, sie soll uns bitte erlösen, ihre Machtansprüche einstellen – aber vielleicht nicht gleich heute. Ein bisschen Schonfrist wird man sich doch wohl noch wünschen dürfen.

Dieser irrationale Impuls, den man jetzt zuweilen verspürt, ist die letzte fiese Attacke der Alternativlosen. Sie hat es tatsächlich geschafft, sich in eine Position zu manövrieren, in der sie als letzte haltbare, halbwegs akzeptable Alternative gesehen wird, selbst dann noch, wenn ihre politische Karriere eigentlich schon längst den Bach runter ist.

Es wird sicherlich das letzte Mal sein, dass sie uns ihre Alternativlosigkeit aufschwatzen will. Mag sein, dass es keine Alternative zu ihr gibt – ihre Kanzlerschaft hat die politische Ordnung, die in diesem Land über Jahre, ja Jahrzehnte herrschte, vollkommen atomisiert. Nach ihr wird nichts mehr so sein wie vorher. Ihre Politik hat verbrannte Erde hinterlassen. Wir hatten allerdings schon 2005 keine Alternative – die zu Merkel hieß ja Schröder. Die neue politische Ordnung ist die Konsequenz alternativlos geführter Politik. In der ist Demokratie nicht mehr ein Zustand der Auswahl zwischen Alternativen – wir dürfen über etwaige, verschieden arrangierte Alternativlosigkeiten befinden.

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