Digitalisierung nichts für Dumme

Durch moderne Technik werden in Brandenburg in sieben Jahren 27 700 Jobs wegfallen

»Dumm kann man sein, man muss sich nur zu helfen wissen«, lautet ein ironisches Sprichwort. Aber wer dumm ist, der ist angeschmiert, wenn die Digitalisierung die Arbeitswelt künftig noch weiter umwälzt. Dann gibt es immer weniger Bedarf für Ungelernte und niedrig Qualifizierte.

Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne hatten 2013 für den US-amerikanischen Arbeitsmarkt prognostiziert, dass 47 Prozent der Beschäftigten durch die neue digitale Technik ersetzbar sind. »Grundlage ist die These, dass eine Reihe von Tätigkeiten, die aktuell noch von Menschen ausgeführt werden, künftig automatisierbar sein werden. Für Deutschland wurden ähnliche Analysen durchgeführt, die zu vergleichbaren Befunden kommen.«

Aus der Studie »Arbeit 4.0«

87 Prozent der brandenburgischen Betriebe nutzen digitale Lösungen.

Je ein Fünftel der Betriebe ist vollständig beziehungsweise bereichsübergreifend digitalisiert und vernetzt. 22 Prozent der Betriebe nutzen Insellösungen ohne eine Vernetzung.

Das Backoffice, sprich die Verwaltung, brandenburgischer Unternehmen ist bereits weitgehend digitalisiert. Ein Rückstand ist allerdings in der Produktion zu vermerken.

Rationalisierungseffekte wie Personalabbau und Lohnsenkungen sind in Brandenburg kaum zu beobachten, heißt es. Das Innovationspotenzial komme zum Tragen und führe zu einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität, zur Entstehung neuer Dienstleistungen und Produkte, zu Gewinnsteigerungen und zur Einstellung zusätzlichen Personals.

Unterdurchschnittlich wird die digitale Technik im Bereich Logistik und Verkehr eingesetzt. Immerhin knapp 23 Prozent der brandenburgischen Firmen dieses Wirtschaftszweigs geben an, keinerlei digitale Technik zu nutzen. Bei Kleinbetrieben mit maximal vier Beschäftigten liegt der Anteil ohne digitale Anwendungen sogar bei 37 Prozent. af

So steht es in der 52 Seiten umfassenden Kurzfassung der Studie »Arbeit 4.0 in Brandenburg«, die im Auftrag der hiesigen Wirtschaftsförderung WFBB erstellt und am Dienstag vom rot-roten Kabinett behandelt und danach erstmals öffentlich vorgestellt wurde. Eine Langfassung soll im Herbst folgen.

Wenn 47 Prozent der Mitarbeiter durch moderne Technik zu ersetzen sind, so klingt dies beängstigend. Denn was im Kapitalismus an Rationalisierung machbar ist, das wird auch gemacht - ob nun des Profits wegen oder notgedrungen wegen des Konkurrenzdrucks, das kann Arbeitern und Angestellten herzlich egal sein, wenn es in beiden Fällen darauf hinausläuft, dass sie entlassen werden.

In einer sozialistischen Gesellschaft könnte die moderne Technik die Arbeit erleichtern. Den Beschäftigten könnte bei vollem Lohnausgleich mehr Freizeit gegönnt werden. Aber wir leben nicht im Sozialismus und darum sind Ängste grundsätzlich erst einmal berechtigt.

Sozialministerin Diana Golze (LINKE) versucht zu beruhigen. »Digitalisierung ist kein Job-Killer«, beteuert sie. »Zwar werden vor allem einfache Tätigkeiten vom Arbeitsplatzabbau betroffen sein. Dafür entstehen mehr höher qualifizierte Berufe.« Sie fügt hinzu: »Innovationen bringen Wachstum, der Fachkräftebedarf wird weiter steigen.« Umfangreiche Weiterbildungsmaßnahmen sind deswegen erforderlich. »Die Digitalisierung ist in vollem Gange«, weiß die Ministerin. »Die Frage ist also nicht, ob, sondern wie wir Arbeit 4.0 im Sinne der Beschäftigten gestalten.«

Der neuen Studie zufolge werden in Brandenburg bis zum Jahr 2025 durch die Digitalisierung etwa 27 700 Arbeitsplätze wegfallen. Auf der anderen Seite werden durch Digitalisierung aber auch 25 700 neue Jobs entstehen, wird prognostiziert. Das Minus von 2000 Arbeitsplätzen wird als unproblematisch hingestellt, denn durch die gute wirtschaftliche Lage soll die Zahl der Erwerbstätigen in den kommenden sieben Jahren von aktuell 1,0 Millionen auf 1,1 Millionen steigen, was den Verlust durch die Digitalisierung mehr als wettmachen würde. Die Erkenntnisse beruhen auf statistischen Analysen, Szenario-Rechnungen und einer Befragung von 1051 Betrieben, die einen repräsentativen Querschnitt durch die verschiedenen Branchen im Bundesland bilden.

»Digitalisierung lohnt sich für die Wirtschaft«, meint WFBB-Geschäftsführer Steffen Kammradt. »Die Hälfte der befragten Betriebe, die bereits digitalisieren, konnten dadurch verbesserte oder sogar völlig neue Produkte anbieten und neue Märkte für sich erschließen.« Kammradt spricht von einem »positiven Lawineneffekt«. Je weiter Betriebe in die Digitalisierung einsteigen, desto mehr Digitalisierung planen sie auch in Zukunft, da sie sich von den Vorteilen überzeugt haben. »Umso wichtiger ist es, die Hemmschwelle zum Einstieg zu überwinden«, findet der Wirtschaftsförderchef.

Sozialministerin Golze erkennt indessen neben Chancen auch Risiken der Digitalisierung. Nur ein Beispiel: Wenn Mitarbeiter ihre Aufgaben via Internet auch Daheim erledigen können und für den Chef jederzeit erreichbar sind, dann besteht die Gefahr der Entgrenzung der Arbeitszeit. Es ist dann quasi niemals Feierabend, und darunter leidet der Betroffene genauso wie seine Familie. »Notwendig sind eine Stärkung des Arbeitsschutzes und der betrieblichen Mitbestimmung«, findet Diana Golze.

In der Studie ist ausdrücklich festgehalten: »Je nach Einsatz der digitalen Techniken können diese im Arbeitsalltag be- oder entlastend wirken.«

Download der Studie unter www.wfbb.de

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