nd-aktuell.de / 28.06.2018 / Sport / Seite 20

Kriegskinder

Viele Fußballer entflohen einst ihrer Heimat, nicht alle spielen bei der WM für die neue

Miriam Schmidt, Kasan

Luka Modrics Weltkarriere begann in den Wirren des Krieges in seiner Heimat Kroatien, der Nigerianer Victor Moses floh im Alter von 11 Jahren als Waise aus seiner Heimat: Viele der gefeierten Fußballprofis auf der WM-Bühne haben bewegende Schicksale als Geflüchtete hinter sich. Einige wie die Schweizer Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri oder der Franzose Steve Mandanda laufen für ihre neuen Heimatländer auf. Andere wie Moses, der in England aufwuchs, entschieden sich für Länderspielkarrieren in ihrer Heimat. Oft prägen die frühen Erlebnisse auch die späteren Wege als Fußballer.

Der australische Nationalspieler Daniel Arzani etwa floh als Kind mit seinen Eltern aus Iran. Das Selbstvertrauen für seine rasante Karriere hat der mit 19 Jahren jüngste Spieler des Turniers auch durch seine Kindheitserfahrungen im Dauerkrisengebiet des Nahen Ostens gesammelt. »Wenn man beim Fußballspielen in den Straßen aufwächst, braucht man dieses Selbstvertrauen«, berichtete er. Nun für Australien aufzulaufen, sei eine große Ehre für ihn: »Mein Debüt war ein besonderer Moment. Das Land zu repräsentieren, was uns geholfen hat, ist etwas Besonderes.«

Auch Mittelfeldspieler Moses ist durch seine Erfahrungen stärker geworden. »Am Anfang war es hart, weil ich plötzlich in eine andere Kultur geworfen wurde«, sagte der 27-Jährige, der bei Pflegeeltern in London aufwuchs, nachdem er Vater und Mutter bei religiösen Ausschreitungen in seiner Heimat verloren hatte. »Als kleiner Junge in einem neuen Land musste ich neue Freunde finden, das war schwierig. Ich konnte zu Anfang noch nicht einmal die Sprache.« Doch er fand schnell einen Fußballverein, wechselte 2012 zum FC Chelsea London und war bei dieser WM Stammspieler für sein Heimatland Nigeria.

Der in der heutigen Demokratischen Republik Kongo geborene Mandanda läuft hingegen für seine neue Heimat auf, genauso wie Dänemarks Pione Sisto, der in Uganda als Sohn südsudanesischer Eltern geboren wurde und im Alter von zwei Monaten nach Dänemark kam. 2014 erhielt er die Staatsbürgerschaft und feierte kurz darauf sein Debüt in der dänischen U21-Auswahl. Die Schweiz hat neben Shaqiri und Xhaka, die aus Jugoslawien stammen, viele weitere Profis im Kader, deren Wurzeln nicht in der Schweiz liegen. Dazu gehören Josip Drmic, der aus Kroatien stammt, oder der in Kamerun geborene Breel Embolo.

Andere Profis gingen den umgekehrten Weg, so etwa der in der Schweiz geborene und aufgewachsene Ivan Rakitic, der bei der WM für die Heimat der Eltern spielt: Kroatien. Besonders eindrucksvoll ist Marokko: Nur sechs Spieler aus dem 23-Mann-Kader sind wirklich in Marokko geboren. Die meisten Leistungsträger wie der Ex-Münchner Mehdi Benatia oder Hakim Ziyech von Ajax Amsterdam sind in Europa geboren und fußballerisch ausgebildet worden, ehe sie sich entschieden, das Nationaltrikot des Heimatlandes ihrer Vorfahren tragen zu wollen.

Die wohl meisten Spieler mit einer Fluchtgeschichte spielen für Kroatien, da sie ihre Heimat als Kinder während der Balkankriege verlassen mussten. Real Madrids Luka Modric lebte längere Zeit in Hotels und Heimen, nachdem er die Familie verlor und sein Wohnhaus niederbrannte. Teamkollege Vedran Corluka floh aus Bosnien, Liverpools Dejan Lovren verbrachte viele Jahre in Deutschland. »Man lässt alles zurück. Das ist hart«, berichtete der Verteidiger. »Ich habe als Kind gekämpft, und ich werde mein ganzes Leben lang kämpfen. Erst beim Fußball haben die Leute angefangen, mich zu respektieren.« dpa/nd