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Lange Nacht der Vielfalt

Die Schaubude lädt zum Saisonabschluss zum Zwölf-Stunden-Festival des Puppen- und Objekttheaters ein

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Puppen können immer, nur die Animateure müssen mal Pause machen. Nicht diese Überlegung stand allerdings Pate, als Schaubuden-Chef Tim Sandweg vor zwei Jahren die »Lange Nacht des freien Puppen- und Figurentheaters« aus der Taufe hob. »Damals wurde das Festival ›100 Grad‹ eingestellt, das eine Plattform für die gesamte freie Szene Berlins war. Ich fand das Format aber gut, vor allem den Freiraum, den es schuf. Wir übertrugen das dann auf die freie Puppentheaterszene Berlins«, erklärt Sandweg im Gespräch mit »nd«.

Das Prinzip ist das Bekannte: Die Schaubude stellt Raum und technische Infrastruktur zur Verfügung. Die Künstler werden mit ihren Projekten in der Reihenfolge des Eingangs ihrer Bewerbungen angenommen. Eine kuratorische Auswahl wird nicht getroffen. Allein die Schnelligkeit zählt. Die Resonanz war, schenkt man Sandweg Glauben, enorm. »Um 12.00 Uhr begann die Frist, um 12.02 Uhr war das Programm im Grunde genommen voll«, sagt er. 15 Produktionen finden im großen Saal und Nebenräumen Platz; mehr räumliche Kapazität hat das Theater nicht. Und mehr Seharbeit könnten wohl auch Zuschauer kaum leisten.

Das Programm beginnt am Samstagmittag mit zwei Kinderstücken. Maria Mägdefrau, ein echtes Urgestein des Puppentheaters - 1957 stand sie in Stendal zum ersten Mal auf der Bühne - erzählt in »Däumelinchens Reise« auf ihre sehr poetische Art Hans Christian Andersens Märchen des kleinen Mädchens nach, das Platz auf einer Nussschale hat (13 Uhr, ab vier Jahre). Ihr folgt mit »Hannah, das Drachenmädchen« eine weitere Märchenfigur. Das Drachenmädchen hat es wegen seines so ganz anderen Aussehens schwer (14 Uhr, ab vier Jahre). Danach folgt ein Brüder-Grimm-Doppel mit »Rumpelstilzchen« (14.50 Uhr, 3+) und »Der glückliche Hans« (15.45 Uhr, 4+). Der Kinderteil wird dann mit »Wusel und der goldene Ring« (16.45 Uhr, 3+) vom Pankower Puppentheater Katinchen abgeschlossen. Das Abendprogramm wird mit dem ersten Durchgang der zehnminütigen, jeweils für einen Zuschauer konzipierten Hommage an Peter Tschaikowski »Hochzeitstanz - Only for you« (17.30 Uhr) eingeleitet. Bedient sich das Kinderprogramm mehr traditioneller Elemente, weist das Abendprogramm eine größere Bandbreite zwischen Tradition und Experiment, und zwischen Newcomern und altbewährten Künstlern auf. Der Puppenvirtuose Peter Waschinsky wird in »Bombig: ME TOO - das Musical« Politisches, nicht so Politisches und ganz doll Politisches in einem Puppen-Trash-Event verknüpfen (22.50 Uhr). Nicht trashig, sondern kultig geht es in Dieter Bertrams in Philippe Marlowe-Manier gestalteten Gemüse-Kurzkrimi »Wieder einer dieser Tage« (20 Uhr) zu.

Experimentell wird es hingegen in »Coitus Cannibalus« (22 Uhr), einer Produktion von Studierenden der Puppenspielabteilung der Hochschule Ernst Busch. Sie erkunden mit Puppen und großen Brillen, die Insektenaugen ähneln, die Liebestodpraxis des fliegenden und krabbelnden Getiers - und übertragen sie spielerisch aufs menschliche Leben. Kannibalismus gleich nach dem Sex würde das bedeuten. Außerdem gibt es eine Opernfarce (»Carmen«, 18 Uhr), einen Ausflug in die mexikanische Totenwelt (»Catrina & Carlos«, 19.05 Uhr), eine Action- und Beziehungssatire mit Hausschwein (»Esel sucht Schwein«, 20.40 Uhr) und ein Doppelgängerstück (»Confetti«, 19.30 Uhr). Abgeschlossen wird das Festival mit dem Klangkunstexperiment »Das Stimmenmeer« (0.20 Uhr); hier werden Nixen zum Sprechen, Singen und Klingen gebracht.

Es ist vor allem die Vielfalt, auf die Schaubuden-Intendant Sandweg sich freut. Er selbst kennt nur die wenigsten Produktionen und kann sich an seinem Hause auch auf Neuentdeckungen freuen. Die komplette Szene wird mit dem Programm natürlich nicht abgebildet. In Zeiten, in denen die Macht von Kuratoren lautstark hinterfragt wird, ist das alte Bauernprinzip »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« durchaus ein Ausweg. Wer schnell war mit seiner Bewerbung, der spielt auch hier. Am Publikum selbst liegt es dann, Verbindendes und Trennendes zwischen den einzelnen Produktionen zu erkennen. Am Publikumspreis, der ebenfalls vergeben wird, ist dann ablesbar, was den meisten am besten gefiel.

Wer Einblicke in Berlins Puppentheaterszene gewinnen möchte, kann es kaum bequemer haben als an diesem Samstag. Wer sich daran erfreut, wie Dinge und Tiere beseelt werden, hat zwölf dichte Stunden vor sich. Einen Mehr-Generationen-Tag stellt dieses Festival ohnehin dar.

»3. Lange Nacht der freien Puppen- und Figurentheater« in der Schaubude, Greifswalder Straße 81-84, Prenzlauer Berg. Karten: 5 Euro je Vorstellung, Tagespass 20 Euro.

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