Eine Welt der vielen Welten

Die klassischen Rechts-Links-Antworten auf die Mehrfach-Krise bringen uns nicht mehr weiter, macht Alberto Acosta auf Alternativen aus dem Süden aufmerksam

  • Alberto Acosta
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Krise der Welt ist systemisch. Sie ist vielfältig und asymmetrisch. Die Krise betrifft den gesamten Planeten. Niemals zuvor sind so viele entscheidende Aspekte des Lebens gleichzeitig gescheitert. Und die Erwartungen der Menschen über die Zukunft ihrer Nachkommen erscheinen genauso unsicher. Die Umweltprobleme des Planeten können von den Mächtigen dieser Erde nicht weiter versteckt werden. Auch die unfassbaren Ungleichheiten, die im Gleichschritt mit der »Entwicklung« überall zunehmen, lassen sich nicht mehr kaschieren. Wie ein mutierender Virus werden die Krisen in allen Gesellschaftsbereichen sichtbar, sei es in der Umwelt, Wirtschaft, Sozialem, Politik, Ethik, Kultur und im Spirituellen.

Die aktuelle Krise ist keine Konjunktur die kommt und geht. Über die bestehenden Institutionen ist sie nicht handhabbar. Die Krise ist historisch und strukturell bedingt. Sie erfordert eine tiefe Neuorganisation der Beziehungen innerhalb der Gesellschaft, als auch zwischen den Gesellschaften dieser Erde. Eine Neuorganisation der Beziehungen zwischen den Menschen und dem Rest der »Natur«, dessen Bestandteil wir Menschen sind.

In dem Maße, wie die Globalisierung des Kapitals die regionalen Ökonomien destabilisiert und Gemeinschaften in Flüchtlingsbevölkerungen verwandelt – oft sogar in ihren eigenen Ländern – versuchen einige Menschen dieser schwierigen Lage mit einer Identifikation der Macho-Macht der politischen Rechten zu begegnen. Deren falsches Versprechen lautet, den Migranten »die Arbeit wegzunehmen«, weil diese als Verursacher der Krise gebrandmarkt werden. So nimmt auch die Arbeiterklasse zunehmend rechte und fremdenfeindliche Positionen ein. Ein gefährlicher Irrweg wird beschritten, hin zu einem weltweiten Autoritarismus.

Die privilegierte Klasse der Technokraten befördert die herrschende neoliberale Agenda weiter. Eine Agenda, welche die Illusion von demokratischer Repräsentation und einen unendlichen Pfad der Innovation für unaufhörliches Wachstum weiter nährt. Das perverse Ergebnis ist, dass die Trennlinie zwischen der orthodoxen Rechten und Linken unscharf wird, sobald es um Modernisierung und Fortschritt geht. Und das, obwohl jede dieser Antworten sich auf eurozentrische und machistische Werte gründet.

Karl Marx erinnert uns daran, dass eine neue Gesellschaft aus der alten hervorgeht. Und dass die neue Gesellschaft immer die Defekte der alten in sich trägt. Später hat Antonio Gramsci festgestellt: »Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.« Bemerkenswert ist, und das haben diese Intellektuellen nicht vorhersagen können, dass die neuen Alternativen vor allem an den politischen Rändern zweier kapitalistischer Peripherien, den alten Kolonien und der heimischen Peripherie, entstehen.

Die marxistische Kritik ist weiter notwendig. Aber sie reicht nicht aus. Sie muss mit bereits bestehenden Vorschlägen ergänzt werden. Sie muss die Ideen aus dem globalen Süden beinhalten. Wie die Perspektive des Sumak Kawsay oder Buen Vivir (Gut Leben). Das Eco-Savang, das Ubuntu, das Miteinanderleben, den Kommunitarismus. Auch die kritischen Strömungen in den großen Weltreligionen. Denn in einem historischen Moment wie dem heutigen brauchen Kritik und Aktion neue Narrative.

Mehr vom Selben, nur besser, reicht nicht mehr. Der Weg, den es zu beschreiten gilt, das ist nicht nur die Schaffung verantwortungsvollerer Zusammenschlüsse. Oder regulatorische Bürokratien mit mehr Effizienz. Es reicht nicht, »people of color«, »Alten«, »Menschen mit Behinderung«, »Frauen« oder »Queer« die vollen Rechte innerhalb des liberalen Pluralismus zu gewähren. Dasselbe gilt für den Schutz der Natur durch einige Trostpflaster, aber innerhalb des Kapitalismus. Das wird den Kollaps der Biodiversität nicht abwenden.

Im gerade erschienenen Buch »Pluriversum, ein Wörterbuch der Post-Entwicklung« (Pluriverso – Diccionaro del Postdesarrollo) fordern viele Autoren und ich eine Wiederbegegnung mit Mutter Erde. Es geht darum für alle Menschen und Nicht-Menschen ein Leben in Würde zu garantieren. Immer mehr Menschen machen Erfahrungen, wie sie ihre Bedürfnisse im Einklang mit der Würde der Erde befriedigen können. Viele Kosmovisionen und radikale Praxen werden immer sichtbarer. Die Pluriversen stellen das Konzept der Universalität, das für die eurozentrische Moderne so zentral ist, in Frage. Die Zapatisten in Chiapas wollen stattdessen »eine Welt, in die viele Welten passen«. Eine Welt, in der alle Welten in Respekt und Würde nebeneinander existieren, ohne dass eine Welt auf Kosten der anderen besteht.

Übersetzung/Redaktion: Benjamin Beutler

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