Das Ende des Netzes, wie wir es kennen

Am Donnerstag entscheidet das EU-Parlament über eine neue Urheberrechtsrichtlinie. Kommt sie durch, würde ein System von Filtern Realität, das flächendeckend überwacht, was Menschen hochladen, meint Enno Park

  • Enno Park
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Rechteverwerter gegen Urheberrechtsverstöße im Internet vorgehen wollten, mussten sie bisher die Übeltäter ausfindig machen und verklagen. Zugleich konnten sie die Webseiten auffordern, die geschützten Inhalte wieder zu löschen. Wäre es da nicht wesentlich einfacher, wenn die Betreiber von Apps und Webseiten schon beim Hochladen überprüfen müssen, ob ihre Nutzer gegen Urheberrechte verstoßen? Das ungefähr dachten sich Lobbyisten und Politiker beim Formulieren einer neuen EU-Richtlinie. Sie sieht vor, dass künftig nicht nur die Menschen verklagt werden können, die konkret Urheberrechtsverletzungen begehen, sondern auch die Apps und Webseiten, auf denen die Inhalte veröffentlicht werden.

Die Richtlinie trifft aber nicht nur Facebook, Youtube, Instagram oder Snapchat, sondern auch deren kleine Konkurrenten und zahllose andere Dienste. Ein Selfie auf einer Dating-Seite? Könnte urheberrechtlich geschützt sein und muss geprüft werden. Das Foto eines Kleiderschrankes für einen Kleinanzeigenmarkt? Dasselbe. Und sogar ein Kommentar, den man wie einen Leserbrief unter einem Artikel hinterlassen kann, könnte ja aus einem urheberrechtlich geschützten Text kopiert worden sein, was natürlich auch überprüft werden muss.

Es sind hunderte von Millionen Nutzereingaben und Uploads pro Tag, die Webseiten aller Art vom kleinsten Diskussionsforum bis zum Riesenkonzern wie Facebook untersuchen müssten. Menschliche Arbeitskräfte können das nicht leisten, weshalb alle Anbieter im Netz künftig gezwungen wären, automatische Upload-Filter einzurichten, wenn sie keine juristischen Risiken eingehen wollen. Das sind Computersysteme, die jedes hochgeladene Foto, jede Audiodatei, jedes Video und jeden Textschnipsel mit einer riesigen Datenbank geschützter Inhalte vergleichen. Werden sie fündig, unterbinden sie das Hochladen mit einer Fehlermeldung. Technisch gesehen wären diese Filter also nichts anderes als ein gigantisches Überwachungssystem, das alle Webseiten und Apps umfasst, in denen die Nutzer selber etwas hineinschreiben oder hochladen können.

Doch diese Filter können nicht erkennen, ob beispielsweise das Hochladen eines Bildes nicht doch legal ist, weil es sich um ein journalistisches Zitat handelt oder um eine Parodie. In beiden Fällen wäre das Hochladen legal, in beiden Fällen würde der Filter jedoch zuschlagen und den Upload unterbrechen. Das bedeutet empfindliche Einschränkungen für die Rede- und Meinungsfreiheit. Jedenfalls wenn die Filter perfekt arbeiten würden, was sie nicht tun. Übliche Erkennungsraten solcher Systeme liegen um die 99 Prozent. Werden eine Million Bilder hochgeladen, kommt das System in 10 000 Fällen zu falschen Ergebnissen.

Außerdem ist die Technik hinter solchen Filtern sehr kompliziert. Schließlich müssen nicht nur Bilder richtig erkannt werden, sondern auch Audiodaten, Videos und sogar Programmcodes. Kleine Unternehmen können sich den Aufbau solcher Filter nicht leisten. Ausgerechnet die großen Internetkonzerne hingegen sind technisch und finanziell dazu in der Lage und bekämen einen Wettbewerbsvorteil, der lästige Konkurrenz auf Abstand hält. Oder sie vermieten ihre Technologie an die kleinen und verdienen so an den Filtern mit.

Neben solchen Upload-Filter enthält die Richtlinie noch mehr problematische Ideen. Unter anderem sollen schon Links auf Verlagsinhalte künftig vergütungspflichtig werden, was ebenfalls ein Grundprinzip des freien Internets in Frage stellt.

Mit den Stimmen von Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Rechtspopulisten passierte der Gesetzesentwurf den Rechtsausschuss des EU-Parlaments. Und das trotz großer Proteste von Internetpionieren wie WWW-Erfinder Tim Berners-Lee, Youtube-Stars, Bürgerrechtsaktivisten, Wirtschaftsverbänden, Netzpolitikern fast aller Parteien und 500.000 Unterzeichnern einer Petition. Sie alle fordern die EU-Parlamentarier auf, am Donnerstag gegen die Richtlinie zu stimmen. Käme sie durch, könnte sie nach Verhandlungen mit dem europäischen Rat gegen Jahresende verabschiedet werden. Das Internet in Europa wäre danach nicht mehr dasselbe.

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