Verkehrsplanung von unten

Teil 2 der nd-Serie »Sattelfest«: Mit soliden Entwürfen zwingen Aktivisten den Bezirk Mitte, zu handeln

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das geht uns alles viel zu langsam, deswegen müssen wir das in die Hand nehmen«, sagt Stefan Lehmkühler. Er ist einer der Koordinatoren des »Netzwerks Fahrradfreundliche Mitte«, das im Oktober vergangenen Jahres gegründet wurde. In fast jedem Bezirk hat sich ein solches Netzwerk formiert, um Druck auf die Politik zu machen, damit die im Mobilitätsgesetz verankerten Ziele tatsächlich umgesetzt werden.

»Wir organisieren keine großen Demos, sondern gehen direkt mit fachlicher Expertise heran und machen Verbesserungsvorschläge«, erklärt Lehmkühler. Er selbst ist studierter Verkehrsplaner, wie so viele unter den mehreren Dutzend Mitstreitern, arbeitet derzeit aber in der IT-Abteilung einer Bank. Und ist in Berlin hauptsächlich mit Öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, nicht mit dem Fahrrad. »Das ist für meine Wege praktischer«, so Lehmkühler. »Alle Netzwerke haben verstanden, dass der Fokus zwar auf dem Fahrradverkehr liegt, es im Endeffekt aber um die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums geht«, sagt der Ingenieur.

Sattelfest – die nd-Fahrradserie
Berlin und Brandenburg auf zwei Rädern, heute und in der Zukunft – das ist das Thema unserer aktuellen Serie. Lesen Sie alle Beiträge unter: dasND.de/Mobilitaet

Das erste konkrete Projekt im Bezirk war der öffentliche Aufruf, notwendige Standorte für Fahrradparkplätze zu benennen. »Wir haben auf unseren Internetseiten ein Formular dafür erstellt und das Bezirksamt Mitte gebeten, darauf hinzuweisen«, berichtet Lehmkühler. »Wir selbst prüfen die Vorschläge auf ihre Qualität und übergeben die bereinigten Meldungen an den Bezirk«, erklärt er die Vorgehensweise. Damit unterstütze man den Bezirk, die letztliche Verwaltungsentscheidung sei davon jedoch unberührt. Meist geht es um eine Handvoll Abstellmöglichkeiten, am Hauptbahnhof werden jedoch 1000 zusätzliche Fahrradbügel gefordert. Die ersten 25 Standorte von zunächst 125 gemeldeten seien inzwischen realisiert. »Wir bauen die Autoparkplätze übrigens nicht ab, sondern widmen sie zu Fahrradstellplätzen um«, so Lehmkühlers Sprachregelung. Bis zu zwölf Räder können dort abgestellt werden, wo bisher nur ein Auto Platz fand.

»Auch bei der Radwegeplanung haben wir lange genug zugehört, jetzt machen wir eigene Beiträge«, sagt Lehmkühler. So auf der Linienstraße, die schon vor einem Jahrzehnt als Alternative zur Autohölle Torstraße zur Fahrradstraße umgewidmet wurde. Bisher gilt dort »Rechts vor Links«, das Netzwerk hat eine Planung als Vorfahrtstraße ausgearbeitet, wie es auch die Richtlinien der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen vorsehen. Eine breite grüne Linie entlang der Straße soll die Verkehrsteilnehmer auf die Sonderstellung von Radlern aufmerksam machen. Im Januar stimmte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte schließlich für das Vorhaben. Eine Entscheidung mit Vorbildcharakter. »Wenn es in Mitte möglich ist, muss es in allen anderen Bezirken auch gehen«, erklärt Lehmkühler. Letztlich geht es dem Netzwerk darum, Vorbildlösungen für die ganze Stadt zu entwickeln.

Das ist auch der Fall bei dem Entwurf für die Neuaufteilung der Leipziger Straße. Statt wie üblich in der Mitte sollen die beiden Gleise der geplanten Straßenbahn jeweils an den Fahrbahnrändern neben den neuen Radwegen verlaufen und eine Autospur pro Richtung wegfallen. »Damit erhöht sich die Kapazität der Straße deutlich«, erklärt Lehmkühler. Kaum ein Verkehrsträger sei nämlich so ineffizient wie das Auto. Bei einem durchschnittlichen Besetzungsgrad von 1,1 Personen pro Fahrzeug kommen auf einer 3,50 Meter breiten Autospur nur 2200 Personen pro Stunde vorwärts. Pro Richtung erhöht sich die Kapazität mit der neuen Verteilung um rund 7000 Personen stündlich.

Eine Autospur soll nach Plänen des Netzwerks auch in der Amrumer Straße im Wedding wegfallen, um einen geschützten Fahrradstreifen auf der Nordwestseite anlegen zu können. Inzwischen haben die Fraktionen von SPD und Grünen in der BVV den Vorschlag als Antrag eingebracht, im August soll er im Verkehrsausschuss behandelt werden. »Wenn das umgesetzt wird, beweist es, dass in Hauptstraßen, die von bis zu 18 000 Autos pro Tag genutzt werden, ein Fahrsteifen wegfallen kann«, sagt Lehmkühler. Inzwischen arbeite man an der Erstellung des Konzepts für den Radverkehrsplan. Die Senatsverkehrsverwaltung plant die Vorlage erst in zwei Jahren.

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