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SOS aus Frauenhäusern im Norden

Kieler Koalition versprach Soforthilfe - doch das war’s

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Schleswig-Holsteins Frauenhäuser sind überfüllt. Das Land hat zwar angekündigt, dass es seine Fördergelder aufstockt, doch die Einrichtungen warten bereits Monate auf zugesagtes Geld, weil das Arbeitstempo im zuständigen Ministerium offenbar zu langsam ist.

16 Frauenhäuser gibt es im nördlichsten Bundesland. Das erste wurde 1977 in Rendsburg eröffnet, heute gibt es - bis auf den Kreis Nordfriesland - überall regionale Anlaufstellen für Frauen in Not. Doch inzwischen kommt es immer wieder dazu, dass die Einrichtungen Frauen abweisen müssen, weil Platz fehlt.

Das Frauenhaus in Preetz hat in den vergangenen eineinhalb Jahren 178 Frauen und 166 Kinder abweisen müssen, weil die Kapazitäten erschöpft waren, berichtet Mitarbeiterin Andrea Heitmann. Maike Schiemann aus der Einrichtung in Kiel schildert die gleichen Sorgen: »Im Vorjahr haben wir 130 Frauen aufgenommen und mussten 320 abweisen.«

Aus Lübeck kommen nahezu identische Nachrichten. Anke Kock vom Autonomen Frauenhaus funkt SOS: »Wir sind verzweifelt!« Und ihre Feststellung, dass man beim Zustand von 1989 angekommen sei, klingt beinahe wie eine Drohung: Damals besetzten die Mitarbeiterinnen vier Monate lang ein Haus. Nach der Aktion bekam das Autonome Frauenhaus dann größere Räumlichkeiten. Doch nun hat man 2017 zusammen mit dem Lübecker Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt 370 Frauen und Kinder mangels Platz wegschicken müssen.

Da für akute Notfälle ein Platzkontingent freigehalten werden muss, sind die Schutzhäuser angehalten, nur eine Belegung bis zu 85 Prozent zuzulassen. Die Realität sieht überall anders aus: Den Spitzenwert der Belegungsstatistik meldet das Autonome Frauenhaus Lübeck mit 107 Prozent. Norderstedt liegt bei 97, Schwarzenbek bei 96 Prozent. Lübecks AWO-Einrichtung sowie Kiel, Neumünster und Itzehoe sind bei 95-prozentiger Auslastung. Aus Lensahn werden 94 Prozent gemeldet.

Im Landtag wurde die Aufstockung der Fördergelder fraktionsübergreifend bereits im November beschlossen. Doch mit der Erstellung einer Förderrichtlinie lässt das Gleichstellungsministerium, dem Sabine Sütterlin-Waack (CDU) vorsteht, auf sich warten. Die Ministerin will zunächst eine Bestandsanalyse erarbeiten lassen. Das stößt sogar innerhalb der Jamaika-Koalition auf Unverständnis bei der mitregierenden FDP.

In einer Landtagsdebatte zu dem Thema in der Vorwoche fragte der Abgeordnete Kai Dolgner von der oppositionellen SPD süffisant mit Blick auf die Regierungsbank: »Wenn Soforthilfe - wie im November 2017 beschlossen - bedeutet, dass erst Anfang 2019 Geld fließt, welches Tempo versteht Jamaika dann erst unter dem Begriff des schnellen Regierens?« Schleswig-Holsteins LINKE-Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring fordert, dass Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) das Thema zur Chefsache machen müsse. Die derzeit erfassten 322 Plätze in den 16 Einrichtungen seien längst nicht mehr ausreichend.

Jette Waldinger-Thiering vom Südschleswigschen Wählerverband sieht einen aktuellen Bedarf von 130 zusätzlichen Plätzen im Land sowie entsprechend mehr Personal. Würde man den Schlüssel der vom Europarat beschlossenen und am 1. Februar in Kraft getretenen Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt anwenden, müsste Schleswig-Holstein laut Waldinger-Thiering sogar insgesamt 720 Schutzplätze bereitstellen.

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