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  • Solidaritätsfonds der EU

Leere Landstriche, hohe Grenzen

Die EU-Kommission will den Solidaritätsfonds kürzen - und beim Militär aufstocken

  • Samuela Nickel, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Endlos lange Wege zu Krankenhäusern und Ämtern, ausgedünnter öffentliche Nahverkehr, kaum Versorgung mit Arztpraxen und Postfilialen, nur wenige Arbeitsplätze: Die Abwanderung vor allem junger Menschen aus ländlichen Gebieten aufgrund fehlender Perspektiven führt nicht nur zu ausgedünnten Regionen, sondern zugleich zu einem Abbau der Infrastruktur - ein Teufelskreis. Besonders Gebiete in den östlichen Bundesländern Deutschlands haben damit zu kämpfen. Die entvölkerten Regionen sind damit aber nicht allein: Regionen der EU vor allem im Süden und im Osten stehen vor dem selben Problem.

Die Kohäsionspolitik der Europäischen Union soll genau da ansetzen und den Zusammenhalt nicht nur zwischen einzelner EU-Staaten, sondern auch der Regionen stärken. Der Begriff wurde von der Union entwickelt und geht von dem Verständnis aus, dass zwischen reicheren und ärmeren Regionen in der EU eine Umverteilung stattfinden muss. Die Konsequenzen der ungleichen wirtschaftlichen Situationen in den Ländern sollen ausgeglichen werden, um so die Unterschiede zwischen den Regionen der EU zu verringern. Es ist die europäische Idee des grenzüberschreitenden Zusammenlebens, die damit befördert wird.

Der neue Siebenjahreshaushalt der EU, der ab 2021 - also nach dem Brexit - gilt, sieht jedoch Kürzungen um zehn Prozent genau in dem Bereich der Regionalförderung vor. »Sinnvoll wäre es, den Haushalt in diesem Bereich auszustocken«, so Martina Michels, regionalpolitische Sprecherin der Linksfraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament. »Es ist das wichtigste Instrument der EU, um den Solidaritätsgedanken zu realer Politik zu machen«, sagt sie. Stattdessen aber sei der von der EU-Kommission vorgeschlagene Haushalt von 2021 bis 2027 auf völlig anderes ausgerichtet: Geld für die sogenannte Festung Europa und für Sichterheits- und Militärunternehmen auszugeben. Ab 2021 sollen die Bereiche Sicherheit, Verteidigung und Grenzkontrolle aufgestockt werden. Zusätzlich steht die EU-Kommission vor der Herausforderung, den Haushalt zu planen ohne den Beitragszahler Großbritannien.

Ende Juni trafen sich Kommunal- und Regionalpolitiker in Brüssel, um sich über die Probleme in den Kommunen und über Lösungsansätze auszutauschen. Jedes Jahr kommen die Politiker bei der Konferenz der Linksfraktion GUE/NGL zusammen, um sich als Netzwerk progressiver lokaler Vertreter Europas (REALPE) zu beraten. Es sind die Probleme in ihren Regionen, die die Kommunalpolitiker aus Galizien, Schweden, Griechenland, Frankreich oder Berlin eint: Wasserversorgungsbetriebe, Krankenhäuser und Nahverkehr werden zunehmend privatisiert, der Zugang zur Energieversorgung wird erschwert. Viele Menschen können die Stromrechnung nicht mehr zahlen, berichtet der zyprische Politiker Neoklis Sylikiotis (GUE/NGL). Die Regionalpolitiker debattierten beispielsweise Lösungsansätze im Bereich Öffentlicher Nahverkehr - sowohl in ländlichen Regionen, aber auch in durch Verkehrsinfarkte bedrohten Städten, bei der Gesundheitsversorgung oder im Schulbau.

Die Lösungsansätze sind von Fördermitteln abhängig. Die Prioritäten der Regionalförderung in der neuen Periode ab 2021 verschieben sich jedoch hin zu mehr Exzellenzforschung und innovativen Technologien. Die EU-Kommission schlägt eine »Modernisierung« der Kohäsionspolitik vor und setzt u.a. auf den Ausbau in erneuerbaren Energien und in der Digitalisierung. Vision ist ein stärker vernetztes Europa durch den Ausbau der Verkehrs- und Digitalinfrastruktur. Die Kommission will auch die Flexibilität des Fonds erhöhen: Eine schnellere und effizientere Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse solle so ermöglicht werden, wie beispielsweise bei Naturkatastrophen. Mehr Flexibilität geht aber einher mit höheren Kofinanzierungssätzen für die Kommunen. Die Beiträge für die Finanzierung der Kohäsionspolitik sollen gesenkt, während gleichzeitig die Eigenmittel erhöht werden. Das bringt gerade die ärmeren Kommunen aber in eine Zwickmühle - sie müssen höhere Summen aufwenden, um Förderprogramme umsetzen zu können.

Zusätzlich soll sich die Vergabe der Mittel stärker bei den nationalen Regierungen zentralisieren. »Das ist ein Schlag ins Gesicht des Selbstbestimmungsrechts vieler eigenständig verwalteter Kommunen«, kritisiert Linkspolitikerin Michels. Ebenso werden die Mittel an Konditionalitäten geknüpft: Wenn Kriterien und Forderungen des Europäischen Semesters nicht erfüllt werden, sollen Kohäsionsmittel gekürzt werden können. Ein gesonderter Gesetzesvorschlag sehe vor, Rechtsstaatlichkeit durch Fördergeldkürzungen umzusetzen. Das bestrafe Regionen jedoch doppelt, so Michels. Kommunen, Umweltorganisationen oder Bürgerinitiativen würden so für das Versagen ihrer Regierungen bestraft. Im globalen Zeitalter seien laut Michels viele der Projekte auch nicht national lösbar. Den akuten Probleme, mit denen sich die Kommunen konfrontiert sehen, müsse man mit überregionalen Projekten begegnen.

»In der Kohäsionspolitik findet genau das statt, was Europa sein soll«, sagt Michels. Bei der Unterstützung für Regionen, Städte und Dörfer zu kürzen hieße, viele von ihnen im Stich zu lassen.

Die Reise wurde mit Mitteln des Europäischen Parlaments unterstützt.

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