nd-aktuell.de / 10.07.2018 / Politik / Seite 5

Grünes Jein

In der Frage, ob die Befugnisse für die Staatsmacht ausgeweitet werden sollen, ist die Partei gespalten

Aert van Riel

Die Auseinandersetzungen zwischen den Grünen und der Polizei bei Demonstrationen oder Castor-Transporten liegen schon lange zurück. Inzwischen sind die Beamten gern gesehene Gäste bei Veranstaltungen der Ökopartei. Ihre Bundestagsfraktion hatte am Freitag zu einem Fachgespräch über das bayerische Polizeiaufgabengesetz und die möglichen Folgen für die Bundespolitik unter anderem Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sowie den Leiter der Braunschweiger Kriminalpolizei, Ulf Küch, als Experten eingeladen.

Im Einladungstext äußerten sich die Grünen besorgt über Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der ein Musterpolizeigesetz nach bayerischem Vorbild anstrebt. Er will die Regeln in den jeweiligen Bundesländern anpassen. Allerdings sind nach wie vor die Länder für ihre Polizeien zuständig.

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz beklagte, dass der »freiheitliche Rechtsstaat in Deutschland massiv angegriffen« werde. Seine Fraktionskollegin Irene Mihalic, die selbst als Polizeibeamtin gearbeitet hat, monierte, dass es für so manche Entscheidung in der Innenpolitik keine umfassende wissenschaftliche Grundlage gebe.

Einig waren sich viele der Anwesenden mit Ulf Küch, der sich für Prävention und Aufklärung aussprach. Bei islamistischen Terroristen, die in Deutschland aufgewachsen seien, »ist etwas anderes falsch gelaufen als die Strafverfolgung«, stellte Küch fest.

Die Gesetzesverschärfungen in Bayern wurden auch von Oliver Malchow kritisch gesehen. Allerdings nannte er ein Musterpolizeigesetz wegen der sehr unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern »utopisch«. So können sogenannte Gefährder seit vergangenem Sommer in Bayern statt 14 Tage lang für drei Monate in Gewahrsam genommen werden. Diese »Präventivhaft« kann immer wieder verlängert werden. Darüber müssen Richter entscheiden. In anderen Bundesländern dürfen Personen maximal 48 Stunden in Gewahrsam genommen werden. Dass sich die Länder auf eine einheitliche Linie einigen, hält Malchow nicht für realistisch.

Nichtsdestotrotz haben viele Länder angekündigt, ihre Polizeigesetze ebenfalls verschärfen zu wollen, darunter auch solche mit Regierungsbeteiligung der Grünen. Ein Blick in den Südwesten der Republik zeigt, dass sich die Grünen nicht überall als Wahrer der Bürgerrechte präsentieren. So hat etwa das vom einzigen Regierungschef der Partei, Winfried Kretschmann, regierte Baden-Württemberg bereits im November vergangenen Jahres neue Befugnisse für die Polizei beschlossen.

Kretschmann hatte angekündigt, »an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen zu gehen«. Seine Partei einigte sich mit der CDU darauf, dass die Polizei Software zum Mitlesen von verschlüsselten Chats auf den Geräten von Verdächtigen installieren und Menschen durch die elektronische Fußfessel überwachen kann. In Ausnahmefällen ist auch der Einsatz von Handgranaten erlaubt. Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) hatte erklärt, dass er mit den Gesetzesänderungen nicht nur den Terrorismus eindämmen will.

Doch die Politik der Stuttgarter Landesregierung war nicht Thema beim Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion. Hier ging es vor allem um Bayern. Der Rechtswissenschaftler Ralf Poscher attestierte dem Freistaat eine »Remilitarisierung der Polizei«. Diesen Vorwurf kann man auch anderen Ländern machen.

Das Vorgehen der Grünen in Baden-Württemberg zeigt, dass sie in Regierungsbeteiligungen zu Gesetzesverschärfungen bereit sind. Allerdings gibt es einige Unterschiede zu dem allein von der CSU regierten Bayern. Die Konservativen sind bei ihren Maßnahmen noch weiter gegangen als Schwarz-Grün im Ländle. So können bayerische Beamte Pakete und Briefe ohne konkrete Hinweise auf eine Tat öffnen. Es reicht die nicht genau definierte »drohende Gefahr«.

Hinzu kommt die erweiterte DNA-Analyse im Freistaat. In Zukunft kann der Gentest, der Aufschluss über Geschlecht, Augen-, Haut- und Haarfarbe gibt, zur Fahndung bei einer möglicherweise »drohenden Gefahr« angewendet werden.

Weitaus größere Sorgen als ihre Kollegen im Südwesten haben die Grünen in Bremen wegen Änderungen im Polizeigesetz. Sie sperren sich gegen einen gemeinsamen Entwurf mit ihren sozialdemokratischen Koalitionspartnern im Stadtstaat. Wegen der tiefen Einschnitte in die Bürgerrechte wollen die Grünen eine »öffentliche Debatte« über das Thema führen. Die SPD befürchtet, dass es bis zur Bürgerschaftswahl im Mai nächsten Jahres keine Entscheidung geben wird. Möglicherweise spielt hierbei auch die Angst der Grünen, weitere Stimmen an die in den Umfragen starke LINKE zu verlieren, eine Rolle.

In Bayern verfolgen die Grünen eine Doppelstrategie. Einerseits haben sie eine Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen das Polizeiaufgabengesetz eingereicht, weil die CSU sich in Richtung Präventiv- und Überwachungsstaat bewege. Andererseits haben die Grünen betont, mitregieren zu wollen. Ein Bündnis mit der CSU ist wegen der aktuellen Meinungsverschiedenheiten nach der Wahl im Oktober unwahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen.