nd-aktuell.de / 12.07.2018 / Politik / Seite 5

Der ungeregelte digitale Tod

Nutzer, Digitalunternehmen und Gesetzgeber müssen den Umgang mit dem Ableben im Internet regeln

Enno Park und Moritz Wichmann

Ungerecht und grausam müssen es die Hinterbliebenen finden, wenn ein Kind verstirbt, die Eltern nicht wissen, was wirklich passiert ist und das Internet helfen könnte, es aber nicht tut. Ein solcher Fall wird an diesem Donnerstag vor dem Bundesgerichtshof verhandelt. Er beschäftigt die Gerichte und eine Familie aus Berlin schon seit Jahren. Rückblick ins Jahr 2012: Ein 15-jähriges Mädchen stirbt auf den Gleisen einer U-Bahnhofstation. Nach ihrem Tod suchen die Eltern nach Hinweisen, ob es Suizid gewesen sein könnte. Hinweise erhoffen sie sich auch in den Facebook-Nachrichten der Tochter. Doch die Plattform verweigert den Zugang.

Dabei gilt eigentlich: Die Erben erben alles. Neben allen anderen Habseligkeiten der Verstorbenen gehen auch Computer, Telefone und Speichermedien in ihr Eigentum über und selbstverständlich dürfen sie alles lesen, was sie finden. Sie erben sogar bestehende Verträge. Abonnements und kostenpflichtige Onlinedienste müssen aktiv gekündigt werden. Deshalb wirkt auch der Rechtsstreit um den digitalen Nachlass einer 15-Jährigen auf den ersten Blick wie ein einfacher Fall. Man könnte der Ansicht sein, dass auch ein Facebook-Konto nichts anderes ist als der Stapel Briefe auf dem Dachboden, wie ein Gericht im Laufe dieses Rechtsstreits urteilte. Oder aber man nimmt an, dass der Zugriff auf das Facebook-Konto als höchstpersönliches Recht mit dem Tod eines Nutzers endet, so entschied eine andere Instanz.

Erben ist analog und digital nicht dasselbe. Während die Hinterbliebenen mit Bücherregalen und Schallplattensammlungen die Erinnerung aufleben lassen können, gelten für heruntergeladene Musik und E-Books andere Regeln. Sie können je nach Kleingedrucktem gar nicht vererbt werden. E-Mails und Chatverläufe, die auf den Servern der Provider gespeichert sind, unterliegen anders als die Schachtel alter Briefe dem Telekommunikationsgesetz und damit dem Fernmeldegeheimnis. Manche mögen es als zynisch empfinden, dass ausgerechnet ein Konzern wie Facebook, der mit der Auswertung persönlicher Kommunikationsdaten zu Werbezwecken sein Geld verdient, im Todesfall auf die Privatsphäre der Verstorbenen pocht.

Apple löscht alles!

Aber Facebook ist nicht das einzige Unternehmen, das in solchen Fällen den Zugang zu den Daten verweigert. Chat-Anbieter und E-Mail-Provider geben weder Erben noch Nachlassverwaltern die Passwörter heraus. Apple löscht die Daten in solch einem Fall sogar vollständig. Für die Hinterbliebenen ist das verheerend, so der aufs Erbrecht spezialisierte Rechtsanwalt Bastian Biermann von der Kanzlei ZSA Schilling, Zutt und Anschütz. Er erwartet deshalb vom BGH-Urteil die Klarstellung, ob Daten überhaupt vererbt werden können und Provider den Zugriff für Hinterbliebene aus Datenschutzgründen oder einfach per Allgemeine Geschäftsbedingungen verweigern dürfen.

In anderen Fällen ist für die Auflösung eines Vertrages eine Sterbeurkunde nötig, und die kostet 10 Euro pro Kopie. Das kann bei einer Vielzahl von Accounts schnell ins Geld gehen. Auf der sicheren Seite ist, wer die Passwörter des Verstorbenen kennt. Doch welche dieser bei welchen Diensten hatte, ist den Hinterbliebenen meist völlig unbekannt und erschließt sich vielleicht erst anhand unverständlicher Abbuchungen in den Kontoauszügen oder Briefen von Inkassounternehmen. Doch beim Durchforsten des digitalen Lebens Verstorbener helfen allerlei Dienste, die das Internet nach Accounts absuchen und Übersichten bereitstellen. In jedem Fall kommt auf die Hinterbliebenen im Todesfall jede Menge Arbeit zu. Deshalb ist es so wichtig, neben Testament und Patientenverfügung auch den digitalen Nachlass noch zu Lebzeiten zu regeln - etwa mittels einer Verfügung.

Wenig Regeln, neue Probleme

Das rät auch Dennis Schmolk. Er betreibt die Webseite digital-danach.de, die allerlei Hilfestellungen rund um den digitalen Nachlass gibt. Ihm geht es vor allem darum, der Bevölkerung das Thema nahe zu bringen. Da es noch lange dauern werde, so Schmolk, bis ein gesellschaftlicher Konsens darüber hergestellt ist, sollten alle Menschen sich selbst Gedanken machen, was mit ihren Daten nach ihrem Tod geschehen soll.

Wer kann noch sicher sagen, ob das alte Konto bei MySpace oder StudiVZ existiert und wenn ja, mit welchen Zugangsdaten?

Das hat mittlerweile auch die Bundesregierung erkannt. Sie gibt zu, dass bisher noch einheitliche gesetzliche Regelungen fehlen oder unklar ist, ob Erbrecht oder das Fernmeldegeheimnis gilt. Forscher des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages kritisieren in einer Studie, dies gelte auch international. Außerdem würden - wie im aktuellen Fall mit Facebook - Einzelfallentscheidungen dominieren. Die Vorschläge der Forscher: klare Regeln für Internetunternehmen, ein digitales Sterberegister, mit dem Digitalunternehmen über den Tod eines Nutzers informiert werden, und Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung.

30 Jahre nach Erfindung des Internets stellen sich auch neue Probleme, etwa wenn im Nachlass eine Bitcoin-Brieftasche auftaucht. Ohne zugehöriges Passwort ist das digitale Geld wertlos und kann nicht mehr eingetauscht werden. Hier hilft - anders als bei Bankkonten - auch keine Sterbeurkunde. Ein anderes Problem ist auch die schiere Masse an digitalem »Gerümpel«, das wir mit zunehmendem Alter des Internets mitschleppen. Mit jeder Fahrkartenbuchung und Pizzabestellung per App können neue Konten bei neuen und wechselnden Anbietern hinzukommen, während alte obsolet werden und in Vergessenheit geraten. Denn wer kann noch sicher sagen, ob das alte Konto bei MySpace oder StudiVZ existiert und wenn ja, mit welchen Zugangsdaten?

Keine digitale Trauerkultur

Mittlerweile nutzen laut der regelmäßigen ARD-ZDF-Onlinestudie 62,4 Millionen Deutsche über 14 Jahren das Internet, das sind 90 Prozent aller Jugendlichen und Erwachsenen. Doch an die eigene Sterblichkeit denken Menschen nur ungern. Dementsprechend wenige Menschen kümmern sich überhaupt um ihren digitalen Nachlass. Nach einer Umfrage des Internetbranchenverbandes Bitcom haben 80 Prozent der Menschen mit Internetzugang überhaupt nichts geregelt.

Das Gerichtsverfahren um den Zugriff auf den Facebook-Account zeigt, dass die Digitalisierung auch den Umgang mit Tod, Trauer und Erbschaften verändert, während die Gesellschaft noch dabei ist, zu einer digitalen Trauerkultur zu finden. Dabei ist der Gedanke, Tod und Trauer zu ritualisieren und mit festen gesellschaftlichen Konventionen zu versehen, durchaus eine gute Idee.

Er entlastet die Trauernden von vielen Entscheidungen, für die sie angesichts des Todesfalls oft keinen klaren Kopf mehr haben. Diese Konventionen fehlen noch, wenn es um das beendete, digitale Leben geht. Das erlebt, wer seine Trauer in sozialen Netzwerken kundtut. Dort, wo die Übergänge zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit fließend sind, reagieren die Kontakte mit Bestürzung, Anteilnahme und Trost, aber auch mit Befremden und Irritation. Schließlich gibt es ritualisierte Formen wie die Traueranzeige in der lokalen Tageszeitung im Internet noch nicht.