Die Milliarden-Kohlekosten-Bombe

Der Braunkohletagebau hinterlässt zerstörte Landschaften. Die Kohlekommission muss die Altlastenfrage stellen, fordert Lorenz Gösta Beutin

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor lauter Özil-Bashing, Krach um Seehofers Masterplan und thailändischer Höhlen-Rettungsaktion war eine tatsächlich historische Nachricht der Woche kaum zu vernehmen: Im letzten halben Jahr brachten – erstmals in der Geschichte! – Windräder und Solaranlagen mehr Strom in die deutschen Steckdosen als alle schmutzigen Kohlekraftwerke zusammen.

Im ersten Halbjahr 2018 produzierten Wind, Sonne oder Wasser fast 118 Milliarden Kilowattstunden Strom, ein Anstieg von über zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Anteil an der Gesamtstromerzeugung lag bei rund 36 Prozent. Braun- und Steinkohle zusammen kamen mit 114 Milliarden Kilowattstunden auf gut zehn Prozent weniger. Kaum bemerkt rollt die Energiewende, der Kampf zwischen Erneuerbaren und Fossilen, ihrem Endspiel entgegen.

Für die Spielregeln der schleichenden Energierevolution wird diesen Freitag die Kohlekommission zum zweiten Mal in Berlin zusammentreffen. Über das Gremium, bei dem die Opposition nicht mit am Tisch sitzen darf, wurde an dieser Stelle schon mehrfach berichtet. Die Kommission soll der Politik Vorschläge für den Ausstieg aus der Braunkohle ins Stammbuch schreiben. Neben einem Datum für das Ende der Kohleverstromung und der sozialen Abfederung des Kohlestopps in den Braunkohlerevieren in Ost und West findet sich im Einsetzungsbeschluss der Bundesregierung eine entscheidende Frage nur klein und versteckt. Die Frage der Renaturierung, also der Wiederherstellung riesiger, toter Mondlandschaften, welche die Kohlebagger jahrzehntelang in Lausitz und Rheinland gefressen haben. Geschehen soll die Renaturierung durch die Erarbeitung »der notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, renaturierungs- und strukturpolitischen Begleitmaßnahmen.«

Die große Frage, die der Schachtelsatz ganz klein macht, müsste lauten: Wie hoch sind die Gesamtkosten für die Braunkohleschäden? Und wer zahlt am Ende die Zeche? Leider ist das zuständige Bundesbergrecht so gut wie blind auf dem Auge der Folgekosten von Bergbauprojekten. Sowohl bei den Kosten für die Wiederherstellung von Landschaft, der Renaturierung, etwa das Zuschütten der Gruben, deren Bepflanzung oder Umwandlung in Seen. Aber auch blind für die Kosten der »Ewigkeitslasten«, also die Versauerung von Grundwasser, Vernässungen von Böden, Altlasten durch verschrottete Kraftwerke oder Bergschäden wie absackende Böden, in denen ganze Straßen und Häuser verschluckt werden können.

Da diese Fragen nicht endgültig geklärt sind, forderte Anfang Juli der Bundesrat die Kohlekommission auf, ihr Mandat zu erweitern. Bei den Ewigkeitskosten der Braunkohletagebaue bestünden allerdings »nach wie vor Zweifel darüber, ob die künftigen Ausgaben für Stilllegung, Rückbau, Renaturierung bzw. die Regulierung dauerhafter Schäden, wie dem Absenken des Grundwasserspiegels durch die Braunkohlenutzung, der Höhe nach gedeckt sind und ob die vorgesehenen Mittel zum benötigten Zeitpunkt liquide vorliegen werden«.

Doch nicht nur wer zahlt und wie, ist offen. Auch die Höhe der Schäden ist bis heute unbekannt. So stellt der Bundesrat ebenso hilflos fest, es bedürfe »einer validen Ermittlung der tatsächlich erforderlichen finanziellen Mittel zur Bewältigung der Ewigkeitslasten der Braunkohlenutzung sowie eines Konzepts zur betreiberunabhängigen Sicherung angemessener Rücklagen«. Man tappt im Dunkeln.

Für andere Bereiche gibt es schon Zahlen. Einer Schätzung des Umweltbundesamtes zufolge müssten jeder Kilowattstunde Braunkohlestrom zehn Cent aufgeschlagen werden, um die externen Nebenkosten der Kohle für die Volkswirtschaft zu decken, wobei hier noch andere Folgen wie Gesundheitsschäden und Umsiedlungskosten miteingerechnet werden. Alle wissen, dass dies bisher nicht geschehen ist, die Kosten sich also gigantisch aufgetürmt haben. Nimmt man allein die eingangs erwähnten 114 Milliarden Kilowattstunden produzierten Kohlestrom der ersten drei Monate von 2018, so kommt man auf gigantische 11,4 Milliarden Euro gesamtgesellschaftliche Zusatzkosten. In sechs Monaten!

Die europäische Umweltagentur errechnete für einzelne Kraftwerke die Folgekosten der Luftverschmutzung und kommt auf je rund eine Milliarde Euro pro Jahr für die Kraftwerke Neurath und Frimmerdorf. Auf 1,135 Milliarden Euro für Weisweiler. Und 1,56 Milliarden für Niederaußem. Und das nur für die Kohleschleudern in NRW. Jedes Jahr!

Ebenso problematisch ist die Befreiung für Konzerne wie RWE vom Wasserentnahmeentgelt. Anders als alle anderen Wassernutzer muss das Aktienunternehmen für die gigantischen Sümpfungswassermengen zur Trockenlegung der Tagebaue nichts bezahlen, informiert uns der BUND und macht auf rund 1,2 Milliarden Kubikmeter Grundwasser-Verbrauch pro Jahr aufmerksam. Jedes Jahr!

Die Allgemeinheit hat den Kohlekonzernen und ihren Shareholdern also schon mächtig Geld in den Rachen geworfen. Auf keinen Fall dürfen wir auf den künftig entstehenden Altlasten sitzen bleiben, bisherige Rücklagen der Kohlefirmen von RWE bis LEAG sind kaum nachvollziehbar. Wie die Umweltverbände bin auch ich der Überzeugung, dass für Kohlekonzerne gelten muss, was für jeden Kratzer eines Fahrradfahrers am Lack einer Autotür gilt: Wer den Schaden verursacht, der zahlt. Die Kohlekosten-Bombe, sie darf uns und kommenden Generationen nicht um die Ohren fliegen.

Lorenz Gösta Beutin ist Sprecher für Energie und Klima der Linksfraktion im Bundestag.

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