Privilegierte Atomkraft

EU-Gericht: Milliardenbeihilfen für britisches AKW sind okay

Es ist ein wahres Rundum-Sorglos-Paket, das die konservative britische Regierung von David Cameron im Jahr 2014 dem französischen Atomkonzern EDF für den Bau des Atomreaktors Hinkley Point C schnürte: Ein »Contract for Difference« garantiert dem Unternehmen einen festen Preis für den produzierten Strom unabhängig von Marktschwankungen. Außerdem sichert das Londoner Energieministerium der britischen EDF-Tochter Nuclear New Build Generation Company (NNB) materiellen Ausgleich zu für den Fall, dass sich künftige Regierungen zu einem Atomausstieg durchringen sollten und Hinkley Point C vorzeitig stilllegen - planmäßig soll es 60 Jahre lang laufen. Ferner garantiert der Staat die Zins- und Tilgungszahlungen für NNB-Schuldverschreibungen bis zu einem Betrag von 17 Milliarden Pfund (gut 19 Milliarden Euro).

Auch wenn es hier um ungewöhnlich hohe Summen von geschätzt rund 100 Milliarden Euro geht, handelt es sich rechtlich betrachtet um eine schnöde Beihilfe, die von der EU-Kommission gemäß den üblichen Wettbewerbsregeln geprüft werden musste. Brüssel hatte keine Einwände, denn die Wettbewerbsverfälschungen seien beschränkt und die Beihilfe sei mit dem Binnenmarkt vereinbar, da sie, wie es Artikel 107 des Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verlangt, »der Förderung der Entwicklung eines Wirtschaftszweigs dient, der ein Ziel von öffentlichem Interesse darstellt, sowie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist«.

Unter den EU-Staaten ist die grundsätzliche Haltung zur Atomkraft indes sehr unterschiedlich. Und so gab es scharfe Kritik am Vorgehen in Großbritannien. Die damalige österreichische Regierung klagte mit Unterstützung ihrer Kollegen in Luxemburg gegen die Genehmigung durch die EU-Kommission. Sie argumentierte insbesondere, die Förderung der Kernenergie sei kein Ziel von »gemeinsamem« Interesse, da einige EU-Staaten diese ablehnten. Das Gericht der Europäischen Union wies diese Sicht in seinem Urteil vom Donnerstag zurück: »Das Ziel muss nicht unbedingt im Interesse aller Mitgliedstaaten oder der Mehrheit der Mitgliedstaaten liegen«, heißt es in der Begründung der Luxemburger Richter. Sie akzeptierten auch die Feststellung der Kommission, dass wegen des Fehlens marktbasierter Finanzinstrumente zur Absicherung gegen das massive Risiko, mit dem Investitionen in die Kernenergie verbunden seien, ein Eingreifen des Staates notwendig gewesen sei, um rechtzeitig neue Kapazitäten der Erzeugung von Kernenergie zu schaffen. Darüber hinaus decke sich laut dem Urteil das Ziel der Förderung der Kernenergie, insbesondere durch Anreize für die Schaffung neuer Erzeugungskapazitäten, mit dem Ziel der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom).

Unglaublich, aber wahr: Der Euratom-Vertrag aus dem Jahr 1957, der sich für die Förderung des Ausbaus der Atomkraft in Westeuropa einsetzte, ist bis heute nahezu unverändert gültig. Die Gemeinschaft besteht als eigenständige internationale Organisation fort, sie ist jedoch in ihren Strukturen vollständig an die EU angegliedert. Obwohl längst die Erneuerbaren mit konkreten Ausbauzielen im Mittelpunkt der Brüsseler Energiepolitik stehen, haben die Atomkraftbefürworter nach wie vor eine mächtige Lobby in den Regierungen zahlreicher EU-Staaten. Und so beteiligten sich sieben Regierungen in dem Luxemburger Verfahren als Streithelfer der EU-Kommission, darunter Großbritannien, Frankreich, Polen und Ungarn.

Die Gültigkeit der Euratom-Bestimmungen dürften das EU-Gericht auch dazu bewogen haben, das Vorbringen Österreichs abzuweisen, die britische Regierung müsse, wenn schon, dann vergleichbare Kapazitäten zur Erzeugung von Windenergie fördern. Aus Sicht der Richter hat jeder Mitgliedstaat das Recht, seinen eigenen Energiemix zu wählen. Juristisch mag das nicht zu beanstanden sein, aber das Wissen um die Erneuerbaren hält sich in Grenzen. Nicht auf dem neuesten Stand: Den Windenergiehinweis wiesen die Richter auch mit dem Hinweis auf den »intermittierenden Charakter« ab; also, dass diese Energiequelle nur mit Unterbrechungen zur Verfügung stehe. Dieses Problem wird aber zunehmend durch verschiedene Speichermöglichkeiten gelöst.

Hinkley Point C, ein Kraftwerk vom Typ Europäischer Hochdruckreaktor, ist der erste AKW-Neubau in Großbritannien seit Jahrzehnten. Das Atomkraftwerk in der südwestenglischen Grafschaft Somerset soll im Jahr 2023 ans Netz gehen. Das Unternehmen NNB möchte in der Grafschaft Suffolk östlich von London einen weiteren Reaktor errichten; auch hier natürlich nur unter der Voraussetzung milliardenschwerer Subventionen.

Für Kritiker der Atomkraft ist der ganze Vorgang ein weiterer Beleg für ihren Forderung nach politischen Änderungen. »Der Euratom-Vertrag ist ein Relikt, es ist höchste Zeit, das Vertragsfossil zu reformieren und die Privilegierung der Hochrisikotechnologie Atomkraft abzuschaffen«, sagte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, in einer ersten Einschätzung des Urteils. »Der Vertrag verschafft der Atomenergie einen unfairen und unzeitgemäßen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Strommarkt. Für erneuerbare Energien stellt die EU-Kommission jede Förderung wettbewerbsrechtlich auf den Prüfstand, nicht aber für die unverantwortliche und teure Atomkraft.«

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