In Bayern wächst der Widerstand

Ein großes Bündnis ruft zur Demonstration gegen eine von der CSU betriebene »Politik der Angst« auf

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Feldzug von Bundesinnenminister Horst Seehofer gegen Geflüchtete und seine massiven Attacken auf Bundeskanzlerin Angela Merkel stoßen mittlerweile auch bis in die CSU hinein auf Abscheu und Kritik. So ist nun Harald Leitherer, ehemaliger Landrat von Schweinfurt, nach 49 Jahren aus der Partei ausgetreten. Ex-Familienministerin Renate Schmidt (SPD) sprach Seehofer in einem Offenen Brief die Ehre ab. Am Sonntag, den 22. Juli, wird es in München eine bayernweite Großdemonstration gegen die bayerische Flüchtlingspolitik, das neue Polizeiaufgabengesetz und soziale Missstände geben. Dazu werden sich vier Demonstrationszüge quer durch die Stadt bewegen und schließlich am Königsplatz enden. Die Veranstalter gehen von Zehntausenden Teilnehmern aus.

»Wenn ich den Seehofer sehe, brauche ich einen Kübel, dann könnte ich sofort kotzen«, meinte ein Teilnehmer der Kundgebung zum NSU-Urteil am vergangenen Dienstag. Immer mehr Menschen in Bayern halten den politischen Krawallkurs des CSU-Vorsitzenden für nicht mehr hinnehmbar. Das schlägt sich auch in den Wahlprognosen nieder. Eine jüngste Umfrage sieht die »Christsozialen«, denen längst auch von etlichen Kirchenvertretern das »C« für christlich abgesprochen wird, nur noch bei 39 Prozent. Als »nicht anständig« bezeichnet jedenfalls Ex-Landrat Leitherer das Verhalten von Seehofer, Landesgruppenführer Alexander Dobrindt und von Ministerpräsident Markus Söder. »Ich kann die Taktik nicht mehr stützen und dahinterstehen. So wie die CSU unter dieser Führungsmannschaft Seehofer und Dobrindt agiert, ist das nicht mehr meine Partei«, sagte Leitherer gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Der 65-Jährige war mit 16 Jahren in die Junge Union eingetreten und hatte seitdem diverse Ämter inne, war 18 Jahre lang Landrat. Es ist vor allem die Flüchtlingspolitik, die ihn nun abstößt. Man dürfe keinen Hass gegen Menschen aus anderen Ländern schüren. Er verstehe auch nicht, warum es eine neue bayerische Grenzpolizei geben müsse.

Für Renate Schmidt hat Seehofer seine Ehre verspielt, da er ein »nicht vorhandenes Problem« zur Existenzfrage der Großen Koalition in Berlin und für ganz Europa mache. Zwei Dinge hätten bei ihr das Fass zum Überlaufen gebracht: »Zum einen Ihr Versuch, diejenigen zu kriminalisieren, die unter eigener Gefahr Flüchtlinge aus dem Mittelmeer vor dem Ertrinken retten.« Und: »Menschen wissentlich ertrinken zu lassen, sehen Sie als Teil der Lösung des Flüchtlingsproblems. Ab sofort sind die bisher 1400 Toten im Mittelmeer auch Ihre Toten.«

Sowohl dieses Ertrinkenlassen als auch das Verfrachten von Menschen in libysche Lager, in denen sie ausgebeutet, vergewaltigt und sogar getötet würden, sei »ein Verrat an den Werten, für die wir in Deutschland und Europa stehen«. Die ehemalige Bundesministerin zieht ein vernichtendes Fazit: »Ihr Verhalten ist zum Fremdschämen, und ich schäme mich dafür, dass meine SPD aus Gründen der Staatsräson gezwungen ist, mit Ihnen an einem Tisch zu sitzen.«

Nicht nur Fremdschämen, sondern gegen den Rechtsruck aufstehen - das ist das Programm für die geplante Großdemo am 22. Juli in München. Dazu haben sich unter dem Motto »ausgehetzt - Gemeinsam gegen die Politik der Angst« eine Vielfalt an Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. So rufen zum Protest auf: SPD, Grüne und Linkspartei, Attac und der Flüchtlingsrat, mehrere Helferkreise, kirchliche Gruppen, Gewerkschaften, die Kammerspiele, der antifaschistische Motorradklub »Kuhle Wampe«, Karawane München, VVN und DKP. »Kuttenträger marschieren mit Kommunisten, Feministinnen und Schwule stehen Seite an Seite mit Kirchenleuten, alle geeint im Protest gegen die Staatsregierung«, schreibt dazu die Lokalpresse. Organisiert wird die Demo von der Initiative »Gemeinsam für Menschenrechte & Demokratie«. Bereits seit Februar wird daran gearbeitet, ein Bündnis zu schmieden, um so ein Zeichen »gegen den massiven Rechtsruck in der Gesellschaft, den Überwachungsstaat, die Einschränkung unserer Freiheit und Angriffe auf die Menschenrechte« zu setzen. Seehofer, Söder und Dobrindt stünden »für eine Troika, die aus reinen machtpolitischen Bestrebungen eine absurde bis kafkaeske Politik auf dem Rücken der Menschen betreibt«, kritisiert Projektkoordinator Thomas Lechner.

Von vier Startpunkten aus sollen sich die Demonstrationszüge in München in Bewegung setzen: Vom Goetheplatz aus (Gruppen, die sich mit Migration und Asyl befassen und sich gegen Rassismus und Krieg engagieren); vom Bavariaring aus (Bündnis Nein zum Polizeiaufgabengesetz Bayern); vom DGB-Haus aus (Start aller, die aus sozialen Bewegungen kommen) und schließlich vom Karl-Stützle-Platz aus (Gleichbehandlung aller Geschlechter und sexueller Identität). Gemeinsame Schlusskundgebung soll ab 15 Uhr auf dem Münchner Königsplatz sein.

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