»Viele Bauern greifen die Vorräte für den Winter an«

Notschlachtungen, Aufrufe zum Wassersparen, lange Wartezeit an Schleusen - auch Schleswig-Holstein hat schwer mit der Dürre zu kämpfen

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Jahrhundertsommer mit täglich bis zu 14 Stunden Sonne: Des einen Freud, des anderen Leid. Die einen erleben gerade die schönste Jahreszeit, andere bekommen die Schattenseiten des Sommers in einem ungewöhnlichen Ausmaß zu spüren. Vor allem in Nord- und Mitteldeutschland gibt es Landstriche, in denen seit mehreren Wochen kein Tropfen Regen gefallen ist. Die einzige Feuchtigkeit für die Pflanzenwelt brachte ab und an leichter Morgennebel.

Während Urlauber an Nord- und Ostsee sich über 20 und mehr Grad warmes Badewasser freuen und man sich in der Touristikbranche die Hände reiben kann, gibt es doch etliche Gefahren. Und es gibt Verlierer.

Trockenheit im Norden, zu viel Regen im Süden

Die Ernteausfälle in Teilen der Bundesrepublik hätten ein »existenzbedrohendes Ausmaß« angenommen, erklärte Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied am Mittwoch in Berlin. Das Landwirtschaftsministerium des Bundes teilte mit, dass Vertreter von Bund und Ländern Ende des Monats zusammenkämen, um die Situation zu erfassen. Über Hilfen werde aber erst im August entschieden, wenn der Erntebericht vorliege.

Die Erntearbeiten haben in diesem Jahr an vielen Orten früher begonnen als üblich. Die Ernte von Winterroggen sei in vollem Gange, auch Winterweizen und Winterraps würden bereits gedroschen, hieß es beim Bauernverband. Dabei zeige sich, dass auch an ertragreichen Standorten die Pflanzen unter der anhaltenden Trockenheit litten. Da auf Wiesen teilweise die zweite und dritte Ernte von Gras ausgefallen sei, werde auch das Tierfutter knapp. Mais leide ebenfalls unter Wassermangel. Dass Betriebe Futter zukaufen müssten, setze sie zusätzlich unter Druck. Auf Basis von Umfragen über die tatsächlich geernteten Mengen geht der Bauernverband bei Getreide im Bundesdurchschnitt von einem Ertrag von sechs Tonnen pro Hektar aus - 18 Prozent weniger als im Vorjahr. Es gebe große regionale Unterschiede »Wir haben Regionen in denen Landwirte nur 30 Prozent einer Normalmenge einfahren, und dort ist es existenzbedrohend, vor allen Dingen im Nordosten der Republik«, sagte der Bauernpräsident. In manchen Regionen, etwa in Süddeutschland, hätte es aber auch zu viele Niederschläge gegeben. Auf die Brotpreise wirken sich die Ausfälle nach Rukwieds Worten nicht zwangsläufig aus. Die Getreidepreise lägen zwar höher als im Vorjahr, aber 25 Prozent unter dem Niveau von 2010. Beim Obst sehe es gut aus. »Wenn jetzt noch entsprechend Regen kommt, dann können wir da von einer guten Ernte ausgehen.« Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums wies darauf hin, dass mit solchen Trockenperioden auch für die Zukunft gerechnet werden müsse. dpa/nd

In Schleswig-Holstein zum Beispiel ballen sich die Probleme derzeit besonders. Etwa im Haus von Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Dort hat man für das nördlichste Bundesland inzwischen die zweithöchste Waldbrandgefahrenstufe ausgerufen. Seit Wochen gibt es täglich Flächenbrände im Land, die dank des Einsatzes vieler Feuerwehrkräfte bisher zum Glück aber alle glimpflich ausgingen. Vielerorts rücken die Wehren auch aus, um städtisches Grün zu bewässern. Mittlerweile gibt es aber mit Nordfriesland und Dithmarschen bereits erste Regionen im Norden, in denen die Bevölkerung dazu aufgerufen wird, sparsam mit dem Wasser umzugehen, weil die Trinkwasservorräte zu Neige gehen.

Einer Geduldsprobe werden alle Nutzer des Elbe-Lübeck-Kanals unterzogen. Auf dem 61 Kilometer langen Wasserweg von Lauenburg bis in die Hansestadt Lübeck beziehungsweise umgekehrt sind sieben Schleusen zu durchqueren. Weil diese ihren Normalpegel mit möglichst wenig Wasserverlust halten müssen, werden pro Schleusungsvorgang immer mehrere Kleinboote geschleust. Solange die Gruppe nicht beisammen ist, muss gewartet werden, was teils große Zeitverluste mit sich bringt.

Am meisten klagen - ausgenommen die Obstbauern - die Landwirte, egal ob sie Getreide anbauen oder Nutzviehbestände haben. Die meisten Rinder grasen gar nicht mehr auf der Weide, weil diese vollkommen verdorrt sind. Die Milchviehhalter haben ihre Tiere in den Stall geholt, doch auch die Futtermittel werden knapp. Stroh war selten so wertvoll wie im Moment, die Preise dafür steigen enorm. Viele Rinderhalter entschließen sich deshalb inzwischen zu Notschlachtungen. Das steigert zwar die Fleischmenge auf dem Markt und bringt dem Verbraucher rund zehn Prozent günstigere Preise. Da aber die Milchmenge zurückgeht, ist demnächst mit höheren Milchpreisen zu rechnen. Kirsten Wosnitza vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter: »Viele Bauern greifen die Vorräte an, die für den Winter gedacht sind, weil einfach nichts mehr wächst.«

Das Statistikamt Nord hat nach einer ersten Schätzung am Donnerstag mitgeteilt, dass die Getreide- und Rapsernte in Schleswig-Holstein im Vergleich zum vergangenen Jahr um ein Viertel geringer ausfallen wird. Im Raum Lauenburg kann es Beobachtern zufolge sogar zu Totalausfällen kommen.

Der Landesbauernverband hält sich zwar noch mit Stellungnahmen zurück. Einzelne Betriebsstätten aber sprechen derweil von einer existenzbedrohenden Situation. Und die Landwirtschaftskammer in Rendsburg beschäftigt sich mit Anfragen, ob auf den Bauernhöfen in Sachen Sortiment perspektivisch umgedacht werden müsse - etwa indem man sich mit Olivenanbau beschäftigt.

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