Die Pfauenhäuser von Asturien

Nach über 100 Jahren besinnt man sich im hohen Norden Spaniens auf das kuriose Erbe.

  • Nicole Schmidt
  • Lesedauer: 7 Min.

Es sieht aus wie ein Geisterhaus in einem Film. Verlassen und geheimnisvoll. Aber trotz des deutlichen Verfalls immer noch sehr majestätisch. Vielleicht sollte man mal einen Blick durch das Torgatter wagen? Es ist tatsächlich mehr ein Palast, umgeben von einer großen Wiese mit Bäumen und wild wucherndem Gebüsch. Steingrau, im Kolonialstil, mit Türmchen, Balustraden, Erkern, unterschiedlichen Fenstern und Fassaden. Ein Gefühl schleicht sich ein, als beobachte das Haus die möglichen Eindringlinge. Bewegen sich im leicht geöffneten Fenster des ersten Stocks nicht die Gardinen? »Hier wurde der Gruselschocker ›El Orfanato‹ (›Das Waisenhaus‹) gedreht. Und auch einige Szenen von ›The Others‹ mit Nicole Kidman. Ihr wisst schon, die junge Witwe mit ihren Kindern, die dauernd Geister sehen«, wispert plötzlich eine Stimme. Sie gehört einem jungen Mann aus Fleisch und Blut, der den Gaffern belustigt zuguckt. Ein Hollywood-Drehort! Wer rechnet schon damit in Asturien, im hohen Norden Spaniens, in einem kleinen Fischerörtchen namens Llanes. »Das ist eine Casona de los Indianos, gebaut vor über 100 Jahren«, verrät der Mann, der sich als Alejandro Palacio vorstellt, Kellner in einem Fischlokal.

Indianer? In Spanien! Nein, damit haben die »Indianos« nichts zu tun, sagt Palacio. Den Namen gab man den Spaniern, die Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts nach Venezuela, Argentinien, Uruguay oder Mexiko auswanderten und dort reich wurden. Ihrem neuen Stand gemäß kamen sie zurück in weißen Anzügen, mit Panamahut und der Zigarre im Mund. Damit alle sehen: »Wir haben es geschafft!« Und sie ließen in der rauen Heimat exotische Pfauenhäuser errichten, eben die »Casonas de los Indianos«, mit wundersamen Gärten voller Magnolien, Kamelien und zwei Palmen, die ans tropische Amerika erinnern.

Aus Asturien zogen besonders viele in die neue Welt, um ihr Glück zu suchen. Das Meer hatten sie ja vor der Nase, und die Verheißungen von Reichtum reizten. Es sollen 350 000 gewesen sein, meist junge Männer. »Was blieb ihnen denn sonst übrig. Es gab nur Fischer und Bauern. Und die meisten waren arm«, sagt Palacio. Fast jeder hier habe in der verzweigten Verwandtschaft »Indianos« als Vorfahren. Auch Palacio. Es war sein Großvater, der nach Jahren der Entbehrung auf seinen Haciendas Zuckerrohr anbaute, eine Mexikanerin freite und blieb. Sein Haus steht noch immer in Llanes, aber es gehört jetzt Fremden. »Zu viele Unstimmigkeiten in der Familie. Ich wohne eh lieber in meiner Zweizimmerwohnung«, sagt Palacio.

Und das Geisterhaus, das einst ein hochrangiger Beamter vom Marineministerium besaß? Die Nachfahren wollen sich nicht mit der aufwendigen Renovierung herumschlagen und vermieten es als spannende Location. So könnte jedes der geschätzt 2000 »Casonas de los Indianos« in Asturien eine Geschichte erzählen. In keiner Region Spaniens sind es so viele.

Auch sonst hat das kleine Fürstentum wenig mit den üblichen Klischees von Spanien gemein. Es ist eine erstaunlich grüne und vielfältige Provinz ohne größere Städte zwischen schroffen Bergen und brandendem Meer. Wenn man die östliche »Costa Verde«, den schönsten Küstenabschnitt rund um Llanes, entlangfährt, kommt man sich manchmal vor wie in Irland, manchmal wie in der Schweiz, aber mit pudrigen, fast weißen langen Stränden, und man trifft auch nicht ansatzweise so viele Touristen wie auf den Ramblas von Barcelona oder an der Playa von Palma. Es gibt keinen Stierkampf, keine Olivenbäume und keine Alhambra, dafür aber Dudelsackmusik und präromanische Kirchlein, Eintopf mit weißen Bohnen und Blauschimmelkäse, der in Kalköfen reift. Und statt Wein trinkt man lieber flaschenweise Sidra, Apfelwein.

Überhaupt fühlen sich die Astureños ein bisschen anders - wie die Gallier in Asterix und Obelix, nur eben von Spanien. Asturien ließ sich schließlich als einziges spanisches Land nie erobern und gilt als Wiege der christlichen Rückeroberung: Noch heute kann man im Felstal von Covadonga die Grotte besuchen, wo im Jahr 722 Fürst Pelayo seine Mannen auf die Schlacht gegen die anrückenden Mauren vorbereitete. Es ist ein mystischer Wallfahrtsort in den Ausläufern der Picos de Europa, wo Wasserfälle tosen und Nebel um zerklüftete Felswände wabert. Gläubige stehen geduldig davor Schlange, um wenigstens den Schleier der Madonna zu berühren, die Pelayo angeblich in der Höhle fand. Er siegte, rief sich zum König von Asturien aus. Die Mauren kamen nie zurück. Wahrscheinlich, weil sie einfach kein Interesse mehr an dieser abgeschiedenen Gegend hinter den kalten kantabrischen Bergen hatten.

Dafür ist sie authentisch geblieben, und die Luft riecht angenehm frisch. Auch in Colombres, einem stillen 1300-Einwohner-Dorf 20 Kilometer entfernt von Llanes. Wieder fallen zwischen den eng aneinander geschmiegten und bunt gestrichenen Fachwerkhäusern die pompösen »Casonas de los Indianios« auf. Eine sticht besonders ins Auge, hoch aufgerichtet in leuchtendem Indigoblau, mit weißem Stuck prächtig dekoriert und akkurat gepflegtem Garten, verspielt und heiter. Ein gewisser Iñigo Noriega hat das Luxuslandhaus 1906 erbauen lassen und nach seiner Frau Guadalupe genannt. Drin gelebt hat er nicht. Denn wie auch Palacios Opa zog es kaum Neureiche dauerhaft zurück in die für sie langweilig gewordene Heimat, höchstens für ein paar Wochen zur Sommerfrische. Aber gönnerhaft ließ Don Iñigo auch noch Geld für den Dorfplatz, den Friedhof und das Rathaus springen, andere »Indianos« in ihren Orten für Straßen, Krankenhäuser, Parks und Casions, ihre Klubs.

Wie müssen die Daheimgebliebenen die »Indianos« bewundert haben - aber auch neidisch gewesen sein! In der Quinta Guadalupe erfährt man mehr vom Leben der Auswanderer. Sie steht heute allen offen und hält in ihrem verschwenderischen Innern mit einem großen Archiv die Erinnerung an sie wach. Natürlich hat sich für die wenigsten der Traum vom großen Reichtum erfüllt. Herzzerreißende Fotos sind dort zu sehen mit Vätern, die ihre Söhne, beinah noch Kinder, am Hafen verabschieden. Viele verdingten sich als Tagelöhner, halfen auf Zuckerrohrplantagen, bei der Viehernte. Für einen dieser Jungen, der nach Venezuela wollte, sah es noch düsterer aus. Er hatte nichts als Bananen für seinen neuen Patron im Gepäck und aß sie auf. Prompt wurde er zurückgeschickt.

Don Iñigo war einer, der es wirklich geschafft hat: Sein Vater, der Sidra produzierte, hatte Geld von der Familie gesammelt und ihn mit 14 Jahren nach Mexiko-City eingeschifft, wo er erst seinem Onkel in seinem Kramladen half und unter dem Tisch schlief. Dann übernahm er eine Kneipe und umging geschickt die städtische Order, um Mitternacht zu schließen: Er hängte einfach die Tür aus. Das fand der mexikanische Präsident dreist - aber auch so pfiffig, dass er den jungen Mann ermunterte, doch lieber etwas anderes zu unternehmen. Da ahnte er noch nicht, dass Iñigo einmal mit seinen Zucker- und Textilfabriken, Immobilien, Ländereien, Viehwirtschaft und einer Eisenbahnstrecke als der »zweite Eroberer Mexikos« bekannt werden sollte.

Die Quinta da Guadalupe hatte Glück. Viele andere »Casonas de los Indianas« in Asturien stehen leer oder zum Verkauf, zerfallen langsam vor sich hin, sind nur noch durch Gerüste gestützte Ruinen. Meistens ist er längst aufgebraucht, der Reichtum. Trotzdem erkennt man die Häuser sofort, allein durch die großen Tore und die zwei Palmen. Und in den letzten Jahren achten die Astureños verstärkt auf ihr kurioses Erbe, bauen die Häuser mit privaten und öffentlichen Geldern zu Bibliotheken und Pensionistentreffs, Feriendomizilen oder Hotels um. So wie die edel weißgraue Villa Rosario, die stolz zwischen den anderen bestens hergerichteten Auswanderervillen im Strandviertel von Ribadesella steht, wieder eine gute halbe Fahrstunde von Llanes entfernt. Welch zauberhaften Ort hat sich der Erbauer, ein in Kuba reich gewordener Tabakhändler, dafür ausgesucht, direkt an der sanft geschwungenen Bucht, hinter grünen Hängen. Heute eine Promenade, auf der Liebespaare und Familien flanieren. Der breite Strand wird flankiert von wildromantischen Klippen, der Atlantik zeigt sich an diesem Tag ganz sanft, sogar der sonst oft raue Wind schmeichelt. Passend dazu wäre eine englische Romanze à la Rosamunde Pilcher.

Infos

Auf www.asturientourismus.de 
ist eine fünftägige Route zu finden unter dem Stichwort »Der Geist Amerikas in Ribadesella, Llanes und Colombres«.

»Casonas de los Indianos«:
Bestes Beispiel ist die Quinta Guadalupe in Colombres an der Plaza Manuel Ibáñez, ein Museum, das anschaulich die Auswandererzeit dokumentiert.
www.archivodeindianos.es

Spanisches Fremdenverkehrsamt Berlin:
www.spain.info
Tel.: (030) 882 65 43

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