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»Gleiche Arbeitszeit heißt nicht automatisch mehr Gleichberechtigung«

Frauen ohne Kitaplätze, Männer ohne Lust auf Kindererziehung. Was muss getan werden, um mehr Teilhabe von Frauen im Arbeitsleben zu verwirklichen?

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 3 Min.

Reicht eine ausreichende Kita-Betreuung, um als Frau mit Kind gleichwertig am Arbeitsleben teilhaben zu können?

Kita-Betreuung ist eine zwingende Grundvoraussetzung. Aber alleine reicht es nicht. Und auch bei den Kitas selbst gibt es noch erheblichen Nachbesserungsbedarf. Die Betreuungszeiten und die Qualität sind wichtige Faktoren. Dazu kommt, dass Kitas noch immer sehr unflexibel sind. Oft muss man ein Jahr im Voraus der Kita mitteilen, wie viel Krippenbetreuung man in Anspruch nehmen möchte.

Ute Klammer

Ute Klammer ist Direktorin des Instituts für Arbeitsmark und Qualifizierung der Universität Duisburg-Essen. Sie setzt sich für mehr Gestaltungsraum bei der Arbeitszeit ein. Die promovierte Volkswirtin forscht seit langem zu Sozialpolitik und Arbeit. Dabei beleuchtet sie immer wieder die Rolle von Geschlecht. Mit Klammer sprach Alina Leimbach.

Foto: privat

Was braucht es noch?

Die gesellschaftliche Wahrnehmung auf Erziehungsarbeit muss sich ändern. Auch im Betrieb muss man Anerkennung dafür bekommen, dass man Erziehungsarbeit leistet und es Zeiten gibt, wo man einmal kürzer tritt. Viel zu oft werden Frauen nach der Elternzeit aufs Abstellgleis geschoben. Es ist ein großes Problem, dass Sorgearbeit noch immer als Hürde wahrgenommen wird.

Gibt es denn Länder, die die sich besser bei der Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt anstellen?

Wie so oft kann man nach Skandinavien schauen. Dort gibt es zum einen gute, flächendeckende Betreuung. Es kommt aber noch ein anderer Faktor dazu: Die Arbeitszeitgestaltung. Dort ist es üblich, dass es sogenannte lange Teilzeit oder kurze Vollzeit gibt. Sprich: 30 Stunden Arbeitszeit pro Woche. Mit 30 Stunden kann man existenzsichernd leben. Nicht immer, aber viel eher als von 20 Stunden.

Die 30-Stunden-Woche ist in Deutschland sehr selten. Viele Unternehmen sagen, dass das zu schwierig zu organisieren sei.

Das halte ich für vorgeschoben. Ein Argument der Firmen ist ja beispielsweise, dass 30-Stunden-Wochen alleine wegen der Räumlichkeiten kaum möglich sind. Bei halber Zeit, können sich zwei Angestellte einen Schreibtisch teilen, bei 30 Stunden gehe das nicht, sagen sie. Dabei wird heute viel mehr mobil gearbeitet. Da wird nicht unbedingt das Büro jeden Tag in der Woche benötigt. Auch in Skandinavien funktioniert das gut.

Wäre es da nicht gleich besser, wenn man die Arbeitszeit für alle auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich herabsetzt, wie die LINKE es fordert? Dann hätten alle mehr Zeit für Betreuung - auch die Väter.

So viele Mütter, die Vollzeit arbeiten, gibt es ja nicht mal. Die meisten sind immer noch auf Teilzeitstellen. Bis vor Kurzem ist die durchschnittliche Arbeitszeit von Frauen sogar weiter gesunken, während die der Männer wuchs. Allerdings wäre es sicherlich einfacher, Arbeit, Erziehung und Sorgearbeit mit 35 Stunden zu vereinbaren als mit 40. Nur: Gleiche Arbeitszeit alleine heißt nicht automatisch mehr Gleichberechtigung.

Wie meinen Sie das?

Das hat man schon in der DDR gesehen, wo beide Geschlechter Vollzeit berufstätig waren, aber die Frauen dann noch die Hausarbeit und Kindererziehung gemanagt haben. Auch meine Forschung in Familien mit Frauen als Haupternährerinnen hat mir verdeutlicht, dass Väter Erziehungsarbeit oft nicht als Identifikationsfolie sehen. Sorgearbeit und ehrenamtliches Engagement müssen gesellschaftlich aufgewertet werden, damit es auch für Männer attraktiv wird.

Arbeitsminister Hubertus Heil hat die Brückenteilzeit auf den Weg gebracht. Wird das Frauen helfen?

Ja, das glaube ich. Wir müssen hin zu mehr »atmenden Arbeitszeiten« im Lebensverlauf. Ein Baustein davon ist die Brückenteilzeit. Sie gilt zwar erst einmal nur für Betriebe mit mehr als 45 Mitarbeitern. Aber ich denke, sie markiert einen Paradigmenwechsel. Ich muss dann nicht mehr die Angst haben, dass ich nach der Teilzeit nie mehr auf meine Vollzeit zurückkomme. Phasen der Teilzeit, wo man sich vielleicht um Kinder oder Angehörige kümmert, werden normalisiert.

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