Die Regierung hat Wortbruch begangen

Ein halbes Jahr nach der Einigung mit der Politik bereiten Polens Ärzte erneut Streiks vor

  • Lesedauer: 5 Min.

Im Februar sind Sie nach monatelangem Streit mit der Regierung zu einem vorläufigen Kompromiss gelangt. Nun behaupten Sie, die Politiker hätten den medizinischen Nachwuchs hinters Licht geführt. Der Frieden sei heute brüchiger als je zuvor. Waren Sie zu naiv?

Nein, das finde ich nicht. Wir waren optimistisch und betrachteten die Vereinbarung mit dem Gesundheitsminister als einen Neuanfang, wussten aber, dass von nun an nicht unweigerlich alles glatt laufen würde. Wir haben unseren Protest vorläufig beendet, weil sonst die Patienten darunter gelitten hätten. Unsere Meinung über das Gesundheitswesen in Polen bleibt jedoch kritisch. Hinsichtlich der momentanen Bedingungen haben wir im Februar relativ viel erreicht. Eine Erhöhung der Gesundheitsausgaben auf sechs Prozent des BIP bis zum Jahr 2024 ist zweifellos möglich. Auch wurden die Gehälter der jungen Mediziner etwas aufgestockt. Aber es ist natürlich ein Minimum dessen, was wir noch in den nächsten Jahren erreichen wollen.

Optimistisch war auch der neue Gesundheitsminister Łukasz Szumowski. Er verspricht, dass die Qualität des polnischen Pflegesystems unvermeidlich steigen werde. Hat er Ihrer Meinung nach in den vergangenen Monaten Fehler begangen?

Sein Job ist zugegebenermaßen etwas undankbar. Professor Szumowski ist sehr kompetent und als Arzt weiß er natürlich um die Situation unseres Gesundheits- und Pflegesystems. Er will auch sicherlich viel verändern, aber auch er stößt an die Grenzen der polnischen Politik und muss sich anpassen. Wir glauben vielmehr, dass Szumowski naiv war und nicht wir. Und zwar gegenüber seinen Vorgesetzten in der Regierung. Einige ihrer Mitglieder glauben offenbar, die Wähler hätten den Hungerstreik des medizinischen Nachwuchses bereits vergessen und die Vereinbarung vom Februar habe sämtliche Probleme gelöst. Berufspolitiker denken oft lediglich an die nächsten Wahlen und möchten sich Stimmen »erkaufen«. Leider verwenden sie für ihre Sozialprojekte Geld, das eigentlich in die Gesundheitskasse fließen sollte. Szumowski hat erhabene Absichten, muss jedoch Personen um Geld bitten, die vom Gesundheitswesen keine Ahnung haben.

Haben sich die jungen Ärzte in der Vereinbarung mit der Regierung überhaupt rechtlich abgesichert?

Wir haben vor laufenden Kameras ein Dokument unterzeichnet, das vom polnischen Gesundheitsminister signiert wurde. Eigentlich dachten wir, dies sei völlig ausreichend. In der Diplomatie käme ein solcher Wortbruch einem Verbrechen gleich. Diesem Dokument sollen Gesetze und Verordnungen folgen, die allerdings bisher noch nicht erlassen wurden. Naivität kann man uns Ärzten vielleicht nur insofern vorwerfen, als wir tatsächlich in der Vereinbarung inhaltlich näher auf die geplanten Gesetze hätten eingehen sollen.

Warum glauben Sie, dass die Regierung ihr Wort gebrochen habe?

Eine solche Abmachung wie im Februar ist kein Gesetz und die darin enthaltenen Sätze müssen zwangsläufig einen etwas allgemeineren Charakter haben. Andernfalls hätten unsere Gespräche mit den Regierenden noch bis heute gedauert. Doch in einem Punkt waren wir inhaltlich sehr präzise und haben einen Vorschlag unterbreitet, wie ein Gesetz künftig aussehen könnte. Es ging um die besagte Erhöhung der Gesundheitsausgaben um 6 Prozent des BIP. Das Wohl unserer Patienten steht an erster Stelle und sie sind es, die die Erhöhung zu spüren bekommen sollen. Das haben wir hervorgehoben, weil wir befürchteten, dass die Regierenden daraus eine Mogelpackung machen und unter »6 Prozent« Ausgaben subsumieren, von denen die Patienten letztlich nichts hätten. Genau dies ist jedoch passiert. Ein großer Teil dieser Mittel wird offensichtlich an die Agentur zur Bewertung Medizinischer Technologien und Tarifierung (AOTMiT) fließen, die das Gesundheitsministerium berät. Dies entspricht 170 Millionen Złoty (42 Millionen Euro) allein in diesem Jahr. Für diese Summe könnte man 250.000 MRT's durchführen und 100.0000 Operationen von Grauem Star durchführen sowie tausende Endoprothesen einpflanzen. Dieses Geld wurde also bedürftigen Patienten weggenommen und das ist mit uns nicht zu machen.

Szumowski selbst sagt, er halte, was er verspricht. In seinem letzten Interview für die Wochenzeitung »Sieci« behauptet er, dass seit seinem Amtsantritt die Warteschlangen kürzer werden. Auch in der Behandlung des Grauen Stars sei Polen im europäischen Ranking vorgerückt. Weitere Veränderungen brauchen Zeit...

Aber die erwähnte Mogelpackung gleich zu Anfang ist doch Tatsache. Wenn die Regierung nicht einsieht, dass mehr Geld in das Gesundheitssystem fließen muss, werden wir neue Protestaktionen veranstalten und die Wähler überzeugen, dass die Politiker sich schlicht und ergreifend vor ihren Pflichten drücken. Die Regierenden werden dann spätestens am Wahlabend erfahren, dass sie versagt haben. Schon jetzt stagniert der Betrieb in mehreren Krankenhäusern. Unzufrieden sind ebenso Psychologen, Rettungssanitäter und Krankenschwestern. Wenn weitere Forderungen in der Vereinbarung nicht eingehalten werden, wird sich die Situation spätestens im Herbst entladen. Ihren Höhepunkt erreichen die Proteste allerdings im Jahr 2019, wenn wieder Parlamentswahlen anstehen. Wir wollen aber keine schwarzen Szenarien heraufbeschwören. An der Spitze des Staates steht ja noch der Präsident und wir wollen glauben, dass die Forderungen eingehalten werden.

Gehaltserhöhungen sollen den medizinischen Nachwuchs im Lande halten. Haben die versprochenen Früchte schon etwas bewirkt?

Es ist ja noch viel zu früh, um die Situation beurteilen zu können. Erst in diesem Monat sind die höheren Gehälter erstmals auf die Konten junger Ärzte geflossen und soviel ich weiß - auch noch nicht auf alle. Viele von uns wandern weiterhin aus, auch in diesem Sommer. Im Gegensatz zu den Pflegekräften, die oft einfach in verwandte Berufe »auswandern« und daher häufiger in Polen bleiben, sind wir Ärzte »Berufsidioten«. Andererseits geht ohne uns langfristig nichts. Da kapitulieren auch die hartgesottensten Politiker.

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