Busenförmige Salzstreuer

Berlins »Museum der Dinge« entdeckt das Erotische

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist das uralte Thema von Mann und Frau, Männlichem und Weiblichem in elementarer Wechselwirkung. Dass es sich in allen Naturformen zeigt, ist keine Überraschung. Und dass diese zutiefst erotische Beziehung überhaupt erst Kunst schafft, obendrein. Künstlerhände vollziehen da etwas nach, indem sie ihm entsprechen. Erst das lässt etwas entstehen, das Erotik und Sexualität berührt. Von handhabbaren Werkzeugen gibt es bis zu fantasievollen Anspielungen alles Mögliche. Nun in einer kleinen Auswahl ausgestellt, geordnet und erklärt, dürfen sie bis 1.Oktober im dritten Stock der Oranienstraße 25 besichtigt werden. Ein gar nicht hoch genug zu schätzender Versuch, ein Thema, welches die Gemüter bewegt, die Erotik, ins Blickfeld zu rücken.

Das für die Achtundsechziger-Linke altbewährte Elefantenpress-Areal der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin-Kreuzberg beherbergt seit Jahren das »Museum der Dinge«. So gering der Platz in dem alten Fabrikgebäude sein mag - es ist eines der bestbesuchten Museumsareale weit und breit. Basierend auf dem kostbaren Fundus des Werkbundarchivs Berlin, hätte es durchaus das Zeug zu Höherem. Unsere liebe Hauptstadt Berlin könnte durchaus ein ansehnliches Museum für die angewandten Künste gebrauchen. Jedenfalls sollte man offiziell davon erfahren, was das eigentlich einmal war - und vorläufig gerade noch ist: Kunsthandwerk verbrüderte sich mit Produktgestaltung, das Plakat war verschwistert mit anderen Varianten des Grafikdesigns. Diese bedrohten Künste könnten eine solide Heimstatt gut gebrauchen.

Nun also der pikante Anlass. Kurios bleibt der Begriff »Dinge« für Eros und Sex allemal. Denn das wissenschaftlich Daherkommende hat immer etwas unfreiwillig Komisches, wenn es mit ernster Bedeutung hantiert und künstlerische Aspekte beiseite lässt. Die Kunst hat eben gegenüber Wissenschaft den entschiedenen Vorteil, dass sie peu a peu das Thema mit Charme und Ironie zu vermitteln vermag. Wenn da per Video Stephanie Sarleys zärtlich tastende Finger über die wollüstigen Schwellungen oder gekerbten Tiefen der Früchte gleiten, kann man schon von einer Performance sprechen. So optisch attraktiv soll es zugehen?

Nein, die von der Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität der Humboldt-Universität Berlin bemühten Wissenschaftler Magnus Hirschfeld und Alfred Charles Kinsey stehen für Theorie. 1935 ist der eine, 1956 der andere gestorben. Zur Homosexualität hinterließen beide die wichtigsten Forschungsergebnisse. Ihre Erkenntnisse sind schon Welterbe. Die Bildwelt ist umfassender. Selbst wenn sie einzelne Objekte sammelten und beschrieben - davon lebt noch kein Museum. Lebensfrohe Kunst statt grauer Theorie, wer kann das hier personifizieren? Eduard Fuchs zelebrierte vor über hundert Jahren seine »Illustrierte Sittengeschichte« als gültiges Nachschlagewerk bis heute. Ein Sozialdemokrat der ersten Stunde sammelte zu dem Thema und analysierte es mit viel Lust und Liebe.

1992 entstand in Hamburg das nun schon wieder in die Krise geratene »Erotic Art Museum«, vordergründig nach Sankt-Pauli-Zuschnitt. Nun erinnert diese Ausstellung an die Kunstkollektion der Naomi Wilzig. Was anspruchsvoll als »World Erotic Art Museum« in Miami Beach, Florida, firmiert, hat in den oberflächlich so lasziven, tatsächlich aber oft prüden USA nie Fuß fassen können. Die agil lebensfrohe, vor drei Jahren 81-jährig verstorbene Dame verkörperte das Ideal der aufgeklärten Kennerin und Sammlerin, die ihre Sammlung, aus der einiges hier ausgestellt ist, als Beitrag zur sexuellen Aufklärung und Liberalisierung verstanden wissen wollte.

Da stellt sich heraus, wie schwer man sich tut, betrachtet man jedes Ding für sich. Da wird nach Mineralien sortiert, die der Form von Penis oder Vagina entsprechen. Ähnliches kann man mit floralen Erscheinungen tun, ehe man zu den Nachformungen von Menschenhand kommt: Werkzeuge oder Gerätschaften, Sex Toys als Liebeshilfsmittel, Dildos und Vibratoren in organischen Formen. Erotik? Da offenbart sich das Elend einer pedantisch vereinzelnden Methode des Forschens, die das eigentlich erotische Prinzip künstlerischen Schaffens nicht fassen kann. Busenförmige Salzstreuer oder Kaffeetassen, Aschenbechervagina und Penisflöte, Rasierpinsel und Zigarettenetui als Stimulans für den Herrn, na gut. Andere Bevölkerungskreise bevorzugen vitalere Aphrodisiaka.

Die verschiedenen Vitrinen beherbergen viele vor allem kleinteilige Exponate. Da ist zum guten Schluss sogar die Latexausrüstung für Fetisch- Abenteuer zu sehen. Marc Martin darf als praktizierender Künstler die Installation eines Spindes mit homoerotisch verwendbaren Turnschuhen hinstellen.

Eine willkommene Bestandsaufnahme, eher dem Sex als der Erotik gewidmet. Alles, was sublimer und deshalb vielleicht um so intensiver der erotischen Ausstrahlung gerecht wird, ist in Kunstmuseen verteilt. Wo Niki de Saint-Phalle oder Louise Bourgeois oder Tomi Ungerer dem unsterblich erotischen Pablo Picasso nachfolgten, darf man die Spur dazu aufnehmen. Da gibt es durchaus ebenfalls klitzekleine Dinge, die einen faszinieren können. Mitunter kann moderne Gefäßkeramik sehr erotisch sein. Eine fassbare Kanne oder ein berührbarer Bronzekörper, die verführerische Menschenmodellierung eines Alfred Hrdlicka oder Jürgen Weber. Separierung der Dinge vom Menschen - da dürfte universitäre Forschung auf den Holzweg geraten.

Bis 1. Oktober, Erotik der Dinge. Sammlungen zur Geschichte der Sexualität, Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Oranienstraße 25, Kreuzberg.

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