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  • Geburtstag von Atze Brauner

Hilfe kam von Gary Cooper

Der legendäre Filmproduzent Artur »Atze« Brauner wird 100

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Kino. Der Reiseschriftsteller Bruce Chatwin hat afrikanische Kinder nach ihren Sehnsüchten befragt, und sie erzählten ihm den Traum vom Kino, den ihnen wiederum die Alten erzählt hatten - die einzigen, die je in die ferne Welt des Westens gereist waren, und dort gab es diese seltsamen Häuser, in denen es langsam dunkel wurde, und dann, aus der wundervollen Verteilung von Licht und Schatten, kam von einer großen, anfangs nur weißen Wand Bewegung in den Raum. Aus einem unablässig flimmernden Strahl, der von ganz hinten über die Köpfe der Zuschauer auf besagte weiße Wand prallte, erwuchsen plötzlich lebendige Menschen. Kino. Die Geschichte des Mediums ist eine Geschichte der menschlichen Emanzipation von der Welt - um die Welt in Erfindungen, als Wunder und Wunde, neu zu erfahren.

Artur »Atze« Brauner ist einer der großen, geltungssicheren Produzenten fürs Kino. Wahrscheinlich der erfolgreichste Deutsche im Metier. Mogul mit Menjoubärtchen. Urbild einer Branche - weltmännisch und weidmännisch, witzig und witternd. Geboren als Abraham Brauner 1918 in Lodz, in einer industriell aufstrebenden, brodelnden Stadt, wie sie Andrzej Wajda im Film »Das gelobte Land« porträtierte. Ein Ort gemischter Völker. Der Vater lieferte einem deutschen Fabrikanten das Holz für Tennisschläger und Skier. Mit Deutschen machte man damals die verlässlichsten Geschäfte. Das bisschen Antisemitismus steckte man weg. Bis die Deutschen plötzlich Uniformen trugen. Brauner hat mal gesagt: »Wir ahnten alles: dass wir als Juden verfolgt, geschlagen, ausgestoßen würden. Aber nicht, dass wir industriell vernichtet würden. Wir sahen für die Zukunft viel Not, aber nicht den Tod.« Ein Tod, der Mord war - auch an 49 Familienangehörigen von Brauner.

Achtmal in der Woche war der Junge ins Kino gegangen, sonntags zweimal. Besonders Western verschlang er. Alles Leben war Kino. Und sein eigenes Leben wurde selber ein Drama. Als hätte Brauner ein Thriller-Drehbuch bei Brauner eingereicht, und Brauner hätte Brauner verfilmt. Kaum dass in Lodz ein Judenghetto errichtet worden war, stand für den Jungen fest: Flucht! Und es begann eine Odyssee bis 1945; Verstecke, Grenzgänge, wieder Verstecke. Abhauen, abtauchen, abwarten, erneut abhauen.

Ein halb zugescharrtes Massengrab unterwegs zog ihn an, »ich musste gebannt hineinschauen, und mich sahen die toten Augen eines Zehn- oder Zwölfjährigen an. Sie zeigten das Verlangen an, nicht vergessen zu werden. Ich schwor an diesem Grab, gegen das Vergessen zu arbeiten. Noch wusste ich nicht, wie. Ich habe später über zwanzig antinazistische Filme produziert. Mit aller Leidenschaft - und 13 Millionen Euro Verlust. Ich bin Geschäftsmann, aber ich würde es wieder tun.« Seit 2010 gibt es in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem die »Artur Brauner Mediathek«, in der dauerhaft 21 Filme des Produzenten gezeigt werden. Für »Hitlerjunge Salomon« (1989), international äußerst erfolgreich, hätte es fast den Oscar gegeben. Die deutschen Einreicher verhinderten es, Brauner hat nie erfahren oder begriffen, warum.

Zum Lebensdrama Brauners gehört eine Mistgabel. Diese Forke, die in einen hohen Heuhaufen sticht, um Flüchtlinge aufzustöbern sie trifft nur ein Weichteil des Unterschenkels. Gerettet, der Jude. Am Bug, der Demarkationslinie zwischen Russen und Deutschen, tritt ein Deutscher mit Maschinengewehr auf den Juden zu: »Hast du Geld? Wenn ich etwas finde, wirst du erschossen.« Der Jude sieht sich um. Leute vor dem Grenztor, vielleicht dreißig Männer, Frauen, Kinder. Kein Mitleid in ihren Augen. In einem seiner Schuhe zehn Golddollar. Die Ausziehprozedur. Das Lachen der Umstehenden. Diese Demütigung. »Da fiel mir eine Filmszene aus einem Western mit Gary Cooper ein: Er war umstellt, hat einen der Gangster ins Wasser gestoßen, einen anderen niedergeschlagen. Ich habe es genauso gemacht und rannte los.« Erneut gerettet, der Jude.

Gary Cooper als Eingebung in größter Not. Fast zum Lachen. Kino: Ein Leinwandheld gibt plötzlich Halt im richtigen Leben. So ist Kunst: Du siehst oder liest etwas und weißt, du wirst bestehen. Nicht die Geschichten entscheiden, sondern deren Wirkung. Leinwandlicht kann Unvergänglichkeitslicht werden, egal, wie tief oder oberflächlich ein Film auf den ersten Blick sein mag. Artur Brauner: geboren werden, um das Grundgefühl von Angst nie wieder loszuwerden, und aufwachsen, um alle Fantasie auf Fluchtwege zu konzentrieren. Er ist ein Geworfener gewesen, ein Geprüfter, mit den Jahren unbedingt auch ein Gewiefter und Gepanzerter und Gespürsicherer und Geschäftstüchtiger. Über siebzig Immobilien besaß er, sah sich eines Tages auch hierin als Opfer »rechter Kräfte«, die ihm Finanzskandale anhängen wollten. Er überstand deutsche Höllen, um Deutschen vorwiegend eine heitere, heile Filmwelt zu bieten. Geschichte, die über Gräber springt, in die man selber geworfen werden sollte, hat den größten Humor.

Über 300 Filme hat Brauner produziert, mit Regisseuren wie de Sica, Chabrol, Käutner, Vilsmaier, Wajda, Siodmak, Christian-Jacque, Verhoeven. Die Karl-May-Streifen, das Wallace-Werk, die Mabuse-Filme. Titel wie: »Morituri«, »Es geschah am hellichten Tag«, »Der Garten der Finzi Contini«, »Die weiße Rose«. Ja, immer war er auch ein pfiffiger König des Leichten, Seichten. Abenteuerlich, wie nach dem Krieg alles begann. Der mühsame Umbau eines Spandauer Fabrikgeländes ins erste provisorische Filmstudio. Dreharbeiten mit scharfer Munition, weil es keine Platzpatronen gab. Und Sowjetsoldaten rückten bewaffnet an, weil sie Schauspieler in Naziuniformen für versprengte Deutsche hielten.

Die CCC (Central Cinema Company) wurde Europas größte Filmproduktionsfirma. Die Stars hießen Maria Schell und Curd Jürgens, Lilli Palmer und O. W. Fischer, Romy Schneider und Gary Grant. Der wollte eines Tages zu Brauner nach Hause kommen, scheiterte aber an der Tür, genauer: an der hartköpfig-schlesischen Hausangestellten, die den ihr Unbekannten abwies. Grant später: »Millionen Menschen auf der Welt konnte ich begeistern, aber Hedwig habe ich leider nicht erreicht.« Von Heinz Rühmann sagte Brauner: »Ein großartiger Schauspieler, aber ein schwacher Charakter, er ließ sich von seiner jüdischen Frau scheiden - Hans Albers dagegen nicht.«

Ab wann sinkt Geschichte ins Kalte, wo alles Mitgefühl der nüchternen Registratur weicht? Nach fünfzig Jahren, nach hundert Jahren? Wann reden Menschen über den Holocaust so unbeteiligt, wie wir heute über die Toten von Dreißigjährigem Krieg oder Inquisition reden? Alles bleibt nah, solange noch Menschen Geschichtsschreibung betreiben, in der sie von sich selbst erzählen. In solcher Erzählung kommt der Mensch an kein Ende, nicht sein Leiden, nicht seine Lust. Artur Brauner wird heute 100 Jahre alt.

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