Der Disruptor meint es ernst

US-Präsident Donald Trump will das Freihandelsregime durch ein neomerkantilistisches System ersetzen. In diesem Konflikt steht weit mehr auf dem Spiel als der ungehinderte Kapital- und Warenverkehr.

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 7 Min.

Wo ist die Bourgeoisie, wenn man sie ausnahmsweise einmal braucht? Es überrascht nicht, dass sie kein zuverlässiger Partner bei der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten ist, doch sollte man erwarten, dass sie sich wenigstens für ihre ökonomischen Interessen energisch einsetzt. Immerhin greift Donald Trump die seit einem Vierteljahrhundert gültige Geschäftsgrundlage an, die den Unternehmen beispiellose Profite beschert hat: den sogenannten Freihandel. Kommt es zum Handelskrieg, wären die Verluste ungleich größer als die Gewinne durch Steuersenkungen und Deregulierungsmaßnahmen, die der US-Präsident durchgesetzt hat.

Doch die Kritik bleibt dezent und unterwürfig. So hat sich die US-Handelskammer zwar im Juli zu offener Kritik an Trumps Zollpolitik durchgerungen, ihr Präsident Tom Donohue umschmeichelte den Präsidenten aber mit der Bemerkung, dass die Regierung »den ökonomischen Fortschritt gefährdet, für den sie so hart gearbeitet hat«. Wenn Trump außer an seinen Twitter-Tiraden und seinen Fähigkeiten beim Golfspiel an irgendetwas hart arbeitet, ist es der Handelskrieg. Er hat ihn im Wahlkampf propagiert und in seiner Rede zur Amtseinführung am 20. Januar 2017 versprochen: »Wir werden zwei einfachen Regeln folgen: Kauft amerikanisch und stellt amerikanisch ein.«

Bereits an seinem ersten Arbeitstag besiegelte Trump den Ausstieg aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen TPP. Als er sich seiner Kontrolle über die republikanische Partei sicher genug war, um Gegenmaßnahmen des Kongresses nicht fürchten zu müssen, ging er vom Moratorium zur Offensive über, beginnend im Januar mit Zöllen für Solarmodule und Waschmaschinen, im März dann für Stahl und Aluminium, denen spezifisch den Handel mit China betreffende Maßnahmen folgten.

Die Vereinbarung, die Trump am 25. Juli mit Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der Europäischen Union, traf, um eine Eskalation des Handelsstreits zu vermeiden, dürfte daher nur eine vorläufige Entspannung bringen. Beschlossen wurden weitere Verhandlungen, Juncker sagte überdies zu, dass die EU unter anderem mehr Soja in den USA einkauft, das China als Vergeltungsmaßnahme für US-Zölle nicht mehr abnimmt. Doch auch wenn die Europäer nun mehr Tofu essen, um Trump milde zustimmen - der US-Präsident ist wohl nur daran interessiert, zeitweise an der europäischen Front Ruhe zu haben, um den Streit mit China eskalieren zu können.

Denn so unberechenbar Trump wirkt - im Hinblick auf die nationale Abschottung hat er ein klares Ziel. Als Handelsberater dient ihm Dan DiMicco, Autor des Buchs »American Made: Why Making Things Will Return Us to Greatness«. Über den Nationalen Handelsrat präsidiert Peter Navarro, Autor der Bücher »Death by China« und »The Coming China Wars«. Für die praktische Umsetzung ist der Handelsrepräsentant Robert Lighthizer zuständig, der bereits für Ronald Reagan und die US-Stahlindustrie Schutzzölle durchzusetzen versuchte. Diese Troika arbeitet seit der Amtseinführung für Trump - ungewöhnlich in dessen von häufigem Personalwechsel geprägten Regierung.

In der Wirtschaftswissenschaft hat der Protektionismus allenfalls eine Randposition, allzu deutlich sind aus dem Blickwinkel kapitalistischer Rationalität die Vorteile der global vernetzten Produktion. In ihrer Marktgläubigkeit unterschlagen oder ignorieren Mainstream-Ökonomen jedoch, dass die Nationalstaaten die Freihandelsabkommen aushandeln und der Handel entsprechend den machtpolitischen Verhältnissen gestaltet wird. Diese aber verändern sich langsam, aber sicher zu Ungunsten der alten Mächte Europa und USA. So scheiterten bereits 2005 die Verhandlungen über ein Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen - vor allem, weil die westlichen Staaten nicht auf Agrarsubventionen verzichten wollten.

Trump stellt nun das Prinzip der global vernetzten Produktion in Frage - eine neomerkantilistische Politik, bei der nicht wie einst Gold, sondern Industrien und Arbeitsplätze im eigenen Land gehortet werden sollen. Das ist ökonomisches Abenteurertum. Wenn die Importe so teuer werden, dass sich eine derzeit nicht profitable Produktion in den USA wieder lohnt, steigen die Preise für Investitions- wie Konsumgüter erheblich, während der Druck auf die Löhne zunimmt, was wiederum die Krise verschärft. Auf globaler Ebene wäre die Folge einer Unterbrechung der Lieferketten ähnlich.

Der Neomerkantilismus ist weit mehr ein politisches als ein ökonomisches Programm. Trump wurde vor allem gewählt, um die ungebrochene Vorherrschaft der Weißen und das klassische Patriarchat wiederherzustellen, aber auch, um die USA zu einer imaginierten Größe zurückzuführen. Da drängt die Zeit. Es ist sehr wahrscheinlich, dass China zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen wird, und schon jetzt können die USA nicht mehr mit überlegener Produktivität siegen. Es geht aber auch anders. Man kann dem Prinzip des »strategischen Relativismus« folgen und eine Politik betreiben, die alle schädigt, aber potenziell die eigene Position im Vergleich zu anderen verbessert, und sich der von Konzernen wie Uber entwickelten Methode der »disruption«, der gezielten Zerstörung bestehender Geschäftsmodelle, bedienen.

Noch liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA mit etwa 18 Billionen Dollar um sieben Billionen Dollar über dem Chinas, aber nur ein bis zwei Billionen Dollar über dem der EU. Russland mit seinem BIP von etwa 1,3 Billionen Dollar ist hingegen kein ökonomischer Konkurrent. Trump verhält sich angesichts dieser Konstellation durchaus rational, wenn er das Bündnis mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sucht. Beide haben ein Interesse daran, die EU zu zerschlagen und unterstützen zu diesem Zweck rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien. Überdies ist mit Deutschland der einflussreichste Staat der EU extrem exportabhängig, hier wären die wesentlich stärker binnenmarktorientierten USA zumindest im Sinne des »strategischen Relativismus« Sieger im Handelskrieg. Weniger klar ist das im Fall Chinas, das unter anderem einen erheblichen Teil der US-Staatsanleihen besitzt.

China und die EU stehen nun vor dem Problem, dass sie nach den Regeln nationalstaatlichen Wettbewerbs auf Trumps Maßnahmen reagieren und dabei zwei verschiedene, aber gleichermaßen verlogene Mythen des Freihandels verteidigen müssen. Ohne Gepolter, aber effektiv, setzt China mittels bilateraler Verträge die »Belt and Road Initiative«, ein globales Infrastruktur- und Handelsprojekt durch, zu dem die Bevorzugung chinesischer Unternehmen bei Investitionen und Aufträgen gehört. Die gegen internationales Recht betriebene Ausdehnung der Macht im Südchinesischen Meer, die oft als Konflikt mit den USA gesehen wird, tatsächlich aber vor allem schwächere Nachbarstaaten wie Vietnam betrifft, zeigt zudem, dass China auch auf militärische Stärke setzt. Die EU besteht weiterhin darauf, Afrika mit subventionierten Agrarprodukten zu überschwemmen, schränkt aber den Marktzugang für afrikanische Produzenten ein. In Deutschland, wo die Exportorientierung eine Art Zivilreligion ist, weist man stur jede Kritik am Leistungsbilanzüberschuss zurück, über dessen destabilisierende Wirkung für die Weltwirtschaft sich fast alle Ökonomen einig sind.

Dennoch ist nicht gleichgültig, ob Trump sich durchsetzt. Mag die Ära des Freihandels für die meisten Lohnabhängigen wenig profitabel gewesen sein - es kann noch wesentlich schlimmer kommen. Mit den potenziellen Veränderungen in der Weltwirtschaft stehen auch die Modelle der Verwaltung kapitalistischer Gesellschaften und damit die Errungenschaften der Bürgerrechts- und Arbeiterbewegungen zur Disposition.

Die staatskapitalistische Diktatur Chinas hat sich als effizient erwiesen, sie kann für langfristige Ziele kurzfristig unprofitable Investitionen tätigen und lenkend eingreifen, um die Entwicklung potenziell profitabler Branchen zu fördern oder eine Krise zu bewältigen - aber auch einmal 800 000 Menschen in Umerziehungslagern einsperren, wie derzeit in Xinjiang. Das dürfte genügen, um eine Krise zu überstehen, doch ist das chinesische System kaum auf andere Staaten übertragbar.

Deutlich weniger effizient ist das oligarchische System, das Putin beherrscht, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán aufbauen und Trump anstrebt. Hier regiert der Präsident als Repräsentant eines imaginierten Volkswillens ohne rechtsstaatliche Institutionen - auch über die Bourgeoisie, deren Vertreter er entsprechend seinen machtpolitischen Zielen begünstigt oder benachteiligt. Wenn der Staat seiner Rolle als ideeller Gesamtkapitalist entsagt, mindern Korruption, Klientelismus und Machtkämpfe die Produktivität. Dennoch scheint dies das zur rechtspopulistischen und rechtsextremen Herrschaft passende System zu sein, da es die Mechanismen des Kapitalismus erhält, den Autokraten aber über die Ausgleichsmechanismen der bürgerlichen Demokratie erhebt.

Die in den vergangenen 200 Jahren erkämpfte Demokratisierung der Demokratie, von Gewerkschaftsrechten bis zur Homo-Ehe, weicht im oligarchischen System einer autoritären bis diktatorischen Herrschaft, die alles ausgrenzt und unterdrückt, was nicht dem »Volkswillen« entspricht. Politisch bequem geworden, weil sie seit einem Vierteljahrhundert von konservativen wie sozialdemokratischen Regierungen alles bekam, was sie wollte, steht die Bourgeoisie der Herausforderung durch die autoritäre Rechte hilflos gegenüber. Einmal mehr hängt es von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ab, ob die Demokratie verteidigt werden kann.

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