nd-aktuell.de / 07.08.2018 / Kultur / Seite 15

Viel Licht und wenig Schatten

In Bayreuth werden nicht nur die Religionen entsorgt, sondern auch Kinderopern en vogue gemacht

Roberto Becker

Der Eröffnungsmarathon der Bayreuther Festspiele ist absolviert. Mit drei echten Premieren - einem Kinder-Ring, der Uraufführung von Klaus Langs »der verschwundene hochzeiter« in einem alten Kino mitten in der Stadt und dann, immer auch »a bissel als Staatsspektakel«, der neo-statische Bilder-Rahmen für musikalischen Lohengrin-Luxus. Der Rest (Parsifal, Tristan, Meistersinger, Holländer und Walküre) waren Wiederaufnahmen, bei denen Überarbeitung stets erwünscht und bei Neubesetzungen unumgänglich sind.

Als direkte Nachfahrin des Festspielgründers wird Katharina Wagner nach zehn Jahren im Amt der Festspielchefin längst nicht mehr infrage gestellt. Sie hat ihren maßvollen, aber spürbaren Erneuerungskurs (mit Kinderoper und dem Rahmen eines Diskures Bayreuth, jetzt gar mit einer ersten Uraufführung) unbeirrt fortgesetzt. Und sich auch als nervenstark erwiesen, wenn mal ein Dirigent oder ein prominenter Sänger abhandenkommt. Wenn Nelsons verschwindet, kommt Haenchen, wenn Alayna nicht antritt, Beczala. Es hat sich auch als richtig erwiesen, den Erz-Wagnerianer Christian Thielemann als musikalischen Direktor zu installieren. Vom früheren Raunen über den Niedergang der Wagner-Pflege und vor allem des -Gesangs ist jedenfalls kaum noch etwas zu vernehmen.

Wie auch, wenn Andreas Schager als Parsifal sein Weltklasseformat erstrahlen lässt und Günther Groissböck zum erstklassigen Grunemanz gereift ist. Wenn Petra Lang sich die Isolde immer mehr anverwandelt, eine Christa Meyer Brangäne und Frau Mary singt und Stephen Gould als Tristan und als Siegmund seine Standfestigkeit beweist. Wenn Catherine Foster in der (ausnahmsweise und speziell für das Pult-Debüt von Placido Domingo noch mal einzeln reaktivierten) Walküre des Castorf-Rings ihr »Hojotoho« in den Saal schleudert. Oder wenn in dem überzeugendsten Stück des aktuellen Fest-Spielplans, Barrie Koskys erstmalig wiederaufgenommenen Meistersingern, Michael Volle als Hans Sachs und Martin Kränzle als Beckmesser die Überblendungen von Wagner, Levy, Liszt und Co. mit dem Personal der Oper komödiantisch auf die Spitze treiben. Überhaupt liefert Koskys Arbeit das für ihn typische, gekonnt im zweiten Akt auch weiterentwickelte Gegenmodell zu jedem Rumsteh-Bildertheater. Er entfesselt eine Kostümorgie sondergleichen und zieht doch am entscheidenden Punkt politisch blank, wenn bei ihm als Pointe der Prügelfuge ein verzerrtes Judenklischee des Antisemitismus aufsteigt. Da befinden wir uns nicht mehr in Wahnfried, sondern im Saal der Nürnberger Prozesse. Kosky nimmt sich dann aber auch die Freiheit, das »Verachtet mir die Meister nicht« von Sachs produktiv zu hinterfragen.

So wie auch beim Nah-Ost-Parsifal von Uwe Erik Laufenberg am Ende die Insignien trennender Religionen entsorgt werden und die Erlösung als Licht der Vernunft den Saal flutet. In seiner Zeitbezogenheit und in der Sensibilität für historisch Ererbtes sind das die beiden Inszenierungen, die am deutlichsten aufs Politische übergreifen. Aber selbst in Katharinas Tristan-und-Isolde-Deutung, die ihre Helden erst in ein Labyrinth, dann in ein Gefängnis und schließlich in ihre Innenwelt bannt, schwingt die Auflehnung gegen liebesverhindernde Machtstrukturen als Subtext mit. Auch dass die Krämerseele Daland in Zeiten industrieller Ventilatorproduktion und blinkender Datenautobahnen, ohne zu zögern, seine Tochter verhökert, die sich als obsessive Künstlerin dagegen auflehnt, gehört zur Diagnose unserer Welt.

Dass sich Wagners Werke dafür eignen, kann man in diesem Sommer in der Breite verschiedener Regiehandschriften besichtigen. Da gehört es auch dazu, dass man mal auf einen großen Maler-Namen setzt. Was man sich in Berlin und München leistet, kann man Bayreuth kaum verwehren. Geglückt ist das weder dort noch hier. Wenn die Gerüchte stimmen und Tatjana Gürbaca mit dem nächsten Ring betraut wird, dann sieht die Welt wieder ganz anders aus.