Wenn Jungen Kranke pflegen sollen

Der Boys’Day soll Jungen bei der Berufsplanung helfen - doch es gibt große Unterschiede unter den Bundesländern

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.

»Rekordflaute bei Azubis«, so klagen bayerische Arbeitsagenturen. Sachsen-Anhalt meldet, noch sei jede zweite Lehrstelle unbesetzt. Gar 45 000 angehende Facharbeiter fehlen in Nordrhein-Westfalen. Die Gründe sind vielfältig. Sie reichen von geburtenschwachen Jahrgängen, die jetzt ins Berufsleben treten, über nachlassende Lust junger Leute, einen handwerklich-handfesten Beruf zu erlernen, bis zum anhaltenden Trend, statt Lehre lieber ein Studium anzusteuern.

Angesichts dieses Dilemmas lassen sich auch hauptamtliche Berufslenker in Wirtschaft, Kammern und Kommunen neue Formen einfallen, um überkommene Schemata - sprich: landläufige Vorurteile - aufzubrechen. Fast schon ein Klassiker ist dabei der sogenannte Girls’Day im Frühjahr. Mit dem bundesweit geförderten Zukunftstag speziell für Mädchen ab der 5. Klasse wird schon seit rund zwei Jahrzehnten versucht, Heranwachsende für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu motivieren, die ursprünglich eher Jungen vorbehalten schienen. Ziel ist auch, auf diesem Wege den Mangel an Lehrstellenbewerbern und Fachkräften in der Industrie zu verringern.

Seit einigen Jahren etabliert sich hierzu ein Pendant, das im Grunde dasselbe Ziel verfolgt: der Boys’Day. Auch ihn unterstützt das Bundesbildungsministerium inzwischen ideell wie materiell - und das nicht zuletzt deshalb, weil ihm die Anbieter der vielen Offerten für männliche Neunt- und Zehntklässler eine bedeutsame gesellschaftliche Rolle in punkto »Rollenbilder« und »Sozialkompetenzen« beimessen. Als Boys’Day-Berufe gelten dabei Professionen, in denen bisher höchstens 40 Prozent Männer arbeiten - etwa Kindergärtner, Alten- und Krankenpfleger, Augenoptiker oder Grundschullehrer.

Der Boys’Day ging aus dem Projekt »Neue Wege für Jungs« hervor, das sich als bundesweites Fachportal seit 2005 für die Berufswahl und Lebensplanung von Jungen einsetzt. Die Homepage boys-day.de versteht sich zugleich als Vernetzungsprojekt für entsprechende Initiativen und Einrichtungen. Sie vereint inzwischen über 200 Projekte und ensprechende Initiativen, vermittelt Kontakte hierzu, informiert über aktuelle Studien und führt eine Datenbank mit guten Beispielen. Zudem erhebt man Statistiken zur Resonanz dieses Zukunftstages. So wurden seit 2011 mehr als 255 000 Jungen bei über 44 700 Boys’Day-Angeboten gezählt. Als Rekordjahr gilt gar 2018, wo am 26. April gut 30 700 Jungen mehr als 7000 Angebote unterbreitet bekamen.

Interessant sind in diesem Zusammenhang Unterschiede zwischen den Bundesländern, wobei nicht zuerst die absolute Zahl der Initiativen und Veranstaltungen pro Land besonders aussagekräftig ist. Wohl aber die Zahl der Boys’Day-Aktivitäten je 1000 Schüler. Denn hier führten 2017 ganz klar Bayern (5,2) und Sachsen-Anhalt (5,1), während Brandenburg (0,9) weit abgeschlagen auf den letzten Platz kam. Als einziges Bundesland arbeitet bisher in Bremen noch keine Boys’Day-Initiative, in Hamburg ist es immerhin eine.

In Vorher/Nachher-Befragung werden die Jungen dabei stets auch zu Lebenszielen, Interessen und beruflichen Neigungen befragt. Dabei zeigt sich auch, dass jene über Jahrhunderte und Generationen gewachsenen Rollenbilder nicht so leicht aufzubrechen sind. So ist der Kraftfahrzeugmechatroniker - früher Kfz-Mechaniker - nach wie vor der beliebteste Beruf bei Jungen. Jeder fünfzehnte männliche Schulabgänger ist darauf fokussiert.

Auf den Plätzen folgen Einzelhandelskaufmann, Elektroniker, In- dustriemechaniker, Fachinformatiker und Klempner (heute Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik). Mithin entschieden sich von den 309 966 männlichen Auszubildenden, die 2016 bundesweit eine Lehre begannen, 37,1 Prozent für einen der zehn beliebtesten Jungen-Ausbildungsberufe. Immerhin landete mit dem Kaufmann für Büromanagement nunmehr ein erster Beruf aus der Boys’Day-Liste auf Rang zehn.

Erzieherische Tätigkeiten, die auch eine besondere Sozialkompetenz erfordern, haben es dagegen weiterhin schwer beim männlichen Lehrstellenbewerber. So beträgt der Jungenanteil im Altenpflegerberuf unter den neuen Azubi 23 Prozent, beim Erzieherberuf 18 Prozent. Bei Ergotherapeut/innen sind es zwölf Prozent und bei Gesundheits- und Krankenpfleger/innen in einigen Sparten gar nur fünf Prozent. Ganz weit hinten rangieren Medizinische beziehungsweise Zahnmedizinische Fachangestellte, wo derzeit auf 50 Mädchen gerade mal ein Junge kommt - im Gegensatz etwa zu Zahntechnikern, wo inzwischen immerhin knapp zwei Drittel der Auszubildenden männlich sind.

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