nd-aktuell.de / 16.08.2018 / Politik / Seite 20

Streit ums Fahrrad

In Prag sind Teile der Innenstadt für Zweiräder gesperrt worden

Kilian Kirchgeßner, Prag

Das erste Mal muss Vratislav Filler absteigen, als er sich dem Platz der Republik mitten im Prager Zentrum nähert. Zwischen den Straßenbahnschienen konnte er gut bis hierhin rollen, aber seit wenigen Wochen führt jetzt ein dicker weißer Strich über die Kopfsteinpflasterstraße - ein Strich, der Radfahrern die Weiterfahrt verbietet und in Prag eine Debatte über die richtige Verkehrspolitik aufkochen lässt. »Das Verbot«, sagt Filler, »ist eine völlig falsche Entscheidung!«

Filler ist Wissenschaftler und leitet halbtags die Abteilung für Stadtentwicklung beim Verein »auto*mat«, der für eine ausgewogene Verkehrspolitik eintritt. Die Gruppe fordert bessere Radwege und versucht, der in Tschechien traditionell starken Autolobby etwas entgegenzusetzen. »Schauen Sie«, sagt Filler und holt einen Stadtplan aus der Tasche, »so verlaufen die wichtigen Radtrassen durchs Zentrum.« Quer über die Karte fährt er mit dem Finger, fast alle Routen führen durch das Gebiet der Altstadt. Ausgerechnet auf diesen Hauptwegen für den Radverkehr hat die Stadt Fahrräder verboten - »wir haben Kompromisse vorgeschlagen, haben verhandelt, wir haben dagegen geklagt, aber sie beharren auf ihrer Idee.« Viele Radfahrer, so die Stadt, gefährdeten Fußgänger. Zwischen 10 und 17 Uhr dürfen sie deshalb nicht mehr in Fußgängerzonen einfahren - zumindest im ersten Prager Stadtbezirk, der das historische Zentrum umfasst.

Die Einschränkung wiegt schwerer, als sie auf den ersten Blick wirkt, denn als Fußgängerzone sind weite Teile der Altstadt eingestuft - so auch große Bereiche des Wenzelsplatzes, der ein breiter Boulevard ist. Oder der Platz der Republik, auf dem Vratislav Filler jetzt angehalten hat: Im Minutentakt fahren hier Straßenbahnen und Linienbusse. »Da wäre reichlich Platz für Radfahrer«, urteilt Filler.

Hinter dem Streit steckt nach Meinung von Beobachtern eigentlich ein anderes Problem: Vor Jahren boomten in Prag die Segways, aufrecht fahrende Elektroroller. Immer wieder kam es zu Kollisionen mit Fußgängern, bis die Stadt ein Verbot erließ. Die rührigen Verleiher sattelten um - auf eine Art Motorroller mit Elektroantrieb, dieser gilt verkehrsrechtlich als Fahrrad. Auf diesen Rollern sind Touristen in der ganzen Stadt unterwegs, staunen die Fassaden an und vergessen darüber bisweilen, auf den Verkehr zu achten.

Sie habe die Stadt mit dem Radfahrverbot eigentlich im Blick, sagen manche - und die radelnden Berufspendler würden damit quasi als Nebeneffekt mit erfasst. Vratislav Filler schüttelt unwillig den Kopf. Der Weg durch die breiten Fußgängerzonen sei für Prager Radfahrer essenziell, sagt er, denn es gebe keine Ausweichstrecken: Die engen Altstadtgassen ringsum bieten selbst für Einbahnstraßen kaum ausreichend Platz, und auf den Hauptverkehrsstraßen fehlen Fahrradwege.

Die Stadt bleibt bei ihrer ablehnenden Haltung: »Fahrräder sollten vor allem am Rande der Stadt fahren, in der Natur«, sagt eine Sprecherin des Prager Innenstadtbezirks - und macht damit deutlich, woran in der Prager Verkehrsplanung vieles krankt: Fahrräder werden in Tschechien vor allem als Sport- und Freizeitgerät gesehen und nicht als Verkehrsmittel für den Alltag.

Wie gut geeignet das Fahrrad für den Weg zur Arbeit ist, wird in Prag leidenschaftlich diskutiert. Die eine Seite sagt, Prag biete sich schon wegen seiner vielen Hügel nicht zum Radfahren an, außerdem sei es nun einmal eine historische Stadt mit Kopfsteinpflaster und schmalen Gassen - das erfordere eine andere Verkehrspolitik als in einer Großstadt mit breiten Boulevards. Die andere Seite sagt, Steigungen spielten im Zeitalter von E-Bikes keine Rolle mehr und wegen der rapiden Wachstumsraten tue die Stadt gut daran, das Verkehrskonzept auf neue Beine zu stellen.

Vratislav Filler ist wieder auf sein Rad gestiegen, fährt voran zu einer Prager Ausfallstraße. »Hier«, sagt er und zeigt auf die Straße, »müssten wir auf der Straße fahren.« Rechts von der Fahrbahn parken Autos, links ist sie begrenzt durch Poller, die die Straßenbahnschienen schützen. Wenn er hier fährt, kann über Kilometer kein Auto überholen. Radfahrer sind hier kaum anzutreffen. »Meistens werden Radwege nur ausgewiesen, wenn alles andere schon genügend Platz hat«, klagt er - wenn die Straße breit genug ist für die Fahrspuren, für Straßenbahnschienen, einen Gehsteig und auf jeder Seite einen Parkstreifen.

Der Abstand zu vielen westeuropäischen Großstädten ist groß: Gerade einmal ein Drittel der Prager steigt nach jüngsten Daten zumindest ab und zu aufs Rad. Die Gruppe derer, die mehrmals pro Woche Rad fahren, ist mit zwei Prozent sehr überschaubar. Auf acht bis zehn Prozent könnte der Fahrradanteil in den kommenden Jahren noch wachsen, sagt Vratislav Filler. Eine Radmetropole werde Prag aber wohl nicht werden. epd/nd