Angriff auf eine linke Hochburg

In Leipzig beginnt der erste von über 100 Prozessen um den Naziüberfall auf Connewitz

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.

Zunächst gingen Beobachter von einer linken Demonstration aus, als am Abend des 11. Januar 2016 eine große Gruppe Vermummter still hinter einem Transparent durch Connewitz lief. Das Viertel in Leipzigs Süden ist eine Hochburg der linksalternativen Szene; Nazis wagten sich nicht in größerer Zahl dorthin - bis zu jenem Tag, an dem das islamfeindliche »Legida«-Bündnis im Leipziger Stadtzentrum einjähriges Bestehen feierte. Mit Krawall hatte der Verfassungsschutz vorab eher von links gerechnet. Die rund 200 Angreifer, die in Connewitz Läden und Kneipen zertrümmerten, Passanten jagten und Böller warfen, waren aber Nazis - und zwar gut organisierte: Mitglieder von Kameradschaften aus dem Leipziger Umland, Dresden, Halle und Thüringen, rechte Fußballhooligans, Angehörige verbotener Gruppierungen wie »Blood & Honour«.

Für viele im Szenekiez war der Überfall ein Schock. Entsprechend groß dürfte das öffentliche Interesse sein, wenn an diesem Donnerstag am Leipziger Amtsgericht ein Prozess gegen zwei Beteiligte beginnt - der erste von über 100. Die Polizei hatte nach dem Überfall 215 Nazis festgenommen. Einige Verfahren wurden nach Dresden abgegeben, unter anderem, weil es dort Strukturermittlungen gegen die Freie Kameradschaft Dresden (FKD) gab, die auch in Connewitz dabei war. Dort wurden Beteiligte bereits zu Haftstrafen verurteilt.

Die Leipziger Staatsanwaltschaft selbst hat Anklage gegen insgesamt 202 Tatverdächtige erhoben. Sie müssen sich nun jeweils paarweise vor Gericht verantworten. Allein am Amtsgericht in Leipzig stünden 85 Verfahren an, berichtete die Nachrichtenagentur epd unter Berufung auf Gerichtssprecher Stefan Blaschke. Weitere Verfahren finden laut der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (LINKE) in Torgau, Eilenburg und Grimma statt, dort wohl vor allem vor Jugendrichtern. Vorgeworfen wird den Angeklagten jeweils besonders schwerer Landfriedensbruch; in einigen Fällen kommen andere Delikte und Vorwürfe dazu. Bei dem Überfall waren 23 Geschäfte und viele Autos teils erheblich demoliert worden; es entstand Schaden in sechsstelliger Höhe.

Köditz, die im Leipziger Land beheimatet und in ihrer Fraktion Sprecherin für antifaschistische Politik ist, begrüßt den Prozessmarathon. Es sei ein »gutes, in Sachsen ungewöhnliches Zeichen, dass voraussichtlich alle Verdächtigen vor Gericht kommen«, erklärte sie. Allerdings ist es in den vorangegangenen Ermittlungen nach ihrer Kenntnis nicht gelungen, die Rädelsführer und Hinterleute des »hoch organisierten und bewaffneten Angriffs« ausfindig zu machen. Dabei sei der Angriffsplan vorab bundesweit in rechten Netzwerken verbreitet worden. Köditz hofft nun, dass die Prozesse für Aufklärung auch zu den Hintergründen der Attacke sorgen.

Versierten Beobachtern der Szene sind die Beteiligten und Strukturen ohnehin bekannt. Manche hätten »lückenlose Nazikarrieren« seit den frühen Neunzigerjahren, wie die Journalistin Heike Kleffner im Januar anlässlich einer Podiumsdiskussion zum zweiten Jahrestag des Überfalls in einem Connewitzer Szenekino betonte. Zuvor hatten Antifakreise die Namen vieler Beteiligter veröffentlicht. Das Leipziger Magazin »Kreuzer« hat in einer aufwendigen Infografik deren Herkunft und Verbindungen dargestellt. Sie lässt erkennen, dass zwar die meisten Beteiligten aus dem Raum Leipzig (126) und Dresden (45) kommen, aber auch Aktivisten aus Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen und sogar aus Niedersachsen anreisten; dass es personelle Verbindungen zu anderen Naziüberfällen etwa am 1. Mai 2015 in Saalfeld oder bei einem Fußballspiel 2013 in Babelsberg gibt - und in welchen Strukturen die fast ausschließlich männlichen Angreifer aktiv waren und sind: von Kampfsportgruppen über die »Anti-Antifa« und die früheren »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) bis zur NPD, die teils mit Funktionären vertreten war. Sachsens Innenministerium wird von der Nachrichtenagentur epd mit der Aussage zitiert, es seien nur »mehrere Dutzend« bekannte Rechtsradikale und Hooligans unter den Randalierern gewesen. Die Leipziger LINKE-Abgeordnete Juliane Nagel sagte bereits im Januar, sie wüsste gern, was die Sicherheitsbehörden vor dem Angriff »wissentlich verpeilt« haben.

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