Flash Gordon mit Goldbären

Ben Khan steht in den Kulissen von »Blade Runner«, Sly & Robbie begleiten eine Trauertrompete

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf die Frage, warum man seit einigen Jahren (was im heutigen Popwesen einer Ewigkeit gleichkommt) nichts von ihm gehört habe, obwohl er doch 2014/2015 kurzzeitig in aller Munde gewesen sei, verglich der britische Musiker und Produzent Ben Khan seine Arbeitsweise mit der des US-amerikanischen Schriftstellers Thomas Pynchon, einem Künstler also, der vertrackte, komplexe, hochverdichtete Prosa schreibt, die ebenso präzise gearbeitet wie in formaler Hinsicht eigensinnig ist. »Ein Thriller-Autor muss einmal im Jahr ein neues Buch raushauen, das verlangt man von ihm. Bei Thomas Pynchon käme niemand auf die Idee, ihm auf die Mailbox zu quatschen, er möge sich bitte beeilen«, sagte Khan der Zeitschrift »Musikexpress«. Man kann wohl nicht sagen, Ben Khan sei ein bescheidener Mensch, um dessen Selbstbewusstsein man sich Sorgen machen muss.

Statt einer Musik also, die aus der 08/15-Popfabrik kommt, will er lieber vielschichtige Beat- und Vielklangkonstrukte zusammenschrauben, und das kann er auch gut. Vom Piepston, den elektronische Supermarktkassen von sich geben, über polyrhythmisches Ufo-Gebrumme, virtuoses Motorengestotter und Flash-Gordon-Blitzgeräusche bis zu stolpernden Tschakkatschakka- und Fliegenklatschenbeats und artifiziellen Bernard-Herrmann-Gedächtnisstreicher-Samples hat er alles drauf.

Ben Khan ist ein junger Londoner, der, wie man allenthalben lesen kann, »retrofuturistische« Maschinenmusik macht. Das »Retro« im Wort »retrofuturistisch« soll wohl darauf hindeuten, dass der Mann sich auskennt und bescheid weiß über die Geschichte der Popmusik: Disco, Funk, Soul, R & B, Blues und Blue-Note-Jazz kennt er, das hört man dem hier vorliegenden Debütalbum an allen Ecken und Enden an, er kennt wohl aber auch die Geräusche, die Flugzeugturbinen, Computerspiele, Haushaltsroboter und Auffahrunfälle machen. Die düstere Stimmung kommt wohl von Burial, das Zerbrechlich-Schmerzensmannhafte kommt von James Blake.

Bei den Aufnahmen zu seinem Album sollen im Studio ständig Science-Fiction-Filme (»Blade Runner«, »Akira«, »Ghost in the Shell«) gelaufen sein, ohne den zugehörigen Ton, versteht sich. Den macht er ja selbst. Manchmal gibt es dazu soulig seufzenden Falsettgesang.

»Fool 4 You« etwa ist ein »Track, der den Eindruck erweckt, als stehe Ben Khan in den Kulissen von ›Blade Runner‹ vor einer verschlossenen Discotür« (»Musikexpress«). »Our Father« dagegen klingt, als würde einer, der im Geiste Ennio Morricones Italo-Western-Tracks hört, betrunken auf einem batteriebetriebenen Esel durch eine für ein 80er-Jahre-Computerspiel designte Wüste reiten. Sehr schön, das alles.

Am Rande erwähnt werden soll aber hier auch noch ein bereits vor ein paar Monaten erschienenes Album: Die beiden legendären Goldbären des Dub/Reggae, Sly Dunbar (Schlagzeug) und Robbie Shakespeare (Bass), die stets dann von Sting oder Grace Jones angerufen werden, wenn mal wieder der Rhythmus nicht stimmt bzw. nicht recht in Gang kommen will, haben mit Nils Petter Molvaer gemeinsame Sache gemacht, dem gegenwärtigen Großmeister der traurig-einsamen Besinnlichkeitsjazztrompete, hartnäckig als »Soundlandschaftsmaler« bezeichnet. Das Ergebnis ist sehr swingend und zufriedenstellend. Was aber auch am ebenso beteiligten finnischen Geräuschemacher Vladislav Delay liegen könnte.

Ben Kahn: »Ben Kahn« (Caroline)

Sly & Robbie meet Nils Petter Molvaer: »Nordub« (Okeh/Sony Music)

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